Clemens Fuest und Stephanie Dittmer im Interview – Jahresbericht 2022

Für das Jahr 2022 hatte das ifo Institut mit einer wirtschaftlichen Erholung gerechnet. Stattdessen wurde alles schlimmer: Ein Krieg mitten in Europa, der zu einer Energiekrise und einer Rekordinflation führte. Was bedeutet das für das ifo Institut?

Dr. Dittmer und Prof. Fuest auf dem Balkon des ifo Instituts

Lieber Herr Fuest, liebe Frau Dittmer, wie blicken Sie zurück auf dieses Jahr?

CLEMENS FUEST Der russische Angriff auf die Ukraine hat uns natürlich jenseits der fachlichen, wirtschaftlichen Fragen als Mitmenschen und Mitglieder dieser Gesellschaft getroffen. Der Krieg und die damit verbundenen geopolitischen Verschiebungen haben neue ökonomische Fragen in den Vordergrund gerückt. Wie kann Europa seine Energieversorgung sichern? Muss Deutschland als exportorientierte Volkswirtschaft sich neu erfinden? Wie finanzieren wir die steigenden Verteidigungslasten? Die Arbeit des Instituts hat sich stark mit diesen Fragen beschäftigt, allerdings auch damit, uns auf organisatorische Herausforderungen wie etwa die Energieknappheit einzustellen.

STEPHANIE DITTMER Ein Institut unter den Bedingungen andauernder Krisen zu führen, ist eine neue Herausforderung. Es geht darum, trotz der Unruhe und des hohen Anpassungsbedarfs alle und alles im Blick zu behalten. Das hat uns sehr beschäftigt, gerade in einer Zeit, in der wir noch mit den Folgen von Covid kämpfen.

Viele Menschen sind überfordert von der aktuellen Situation. Sie fühlen sich ohnmächtig. Gab es so einen Moment auch bei Ihnen?

CLEMENS FUEST Nein, das ifo Institut hat die Aufgabe und die Fähigkeit, vor allem in Krisensituationen einen Beitrag zur Bewältigung der wirtschaftlichen Herausforderungen zu leisten, zur Aufklärung beizutragen, über die Folgen der Krisen nachzudenken und darüber zu informieren.

STEPHANIE DITTMER Die Intensivierung der Forschung und der Politikberatung in Krisen stellt an viele Kolleginnen und Kollegen am ifo hohe Anforderungen. Gleichzeitig ist es ein Privileg, in dieser Situation dringend benötigte Informationen und Analysen beisteuern zu können. Außerdem vermittelt der öffentliche Dienst in dieser Zeit mehr Sicherheit, als vielen in diesen Krisenzeiten vergönnt ist.

Herr Fuest, wie hat sich die Analyse dieser Krise von anderen unterschieden?

CLEMENS FUEST Es gab Parallelen zur Corona-Pandemie, vor allem den plötzlichen Ausbruch der Krise und die hohe Unsicherheit, was die ökonomischen Folgen angeht. In unseren Prognosen haben wir darauf erneut reagiert, indem wir unterschiedliche Szenarien betrachtet und veröffentlicht haben. Es hat sich erneut als sehr wichtig erwiesen, dass das ifo Institut mit seinen Unternehmensbefragungen sehr aktuelle Informationen über die Lage der Wirtschaft bereitstellen kann. Neu sind sicherlich die Interaktionen zwischen geopolitischen und ökonomischen Fragen, die diese Krise prägen und von anderen unterscheiden.

Ein Teil Ihrer Arbeit ist die Beratung der Politik – haben Sie das Gefühl, dort noch angemessen gehört zu werden?

CLEMENS FUEST Das ifo Institut steht in einem intensiven Austausch mit der Politik und der Administration. Das heißt nicht, dass ich mit den Entscheidungen, die getroffen werden, immer zufrieden bin. Aber darum geht es auch nicht. In der öffentlichen Kommunikation über Politikberatung gibt es ab und zu unerfreuliche Friktionen – man denke nur an die Debatte über die Analyse über Auswirkungen einer Beendigung der Gaslieferungen aus Russland, die im März 2022 publiziert wurde und an der auch ifo-Wissenschaftler*innen beteiligt waren. Dass der Bundeskanzler diese Studie als unverantwortlich bezeichnet hat, war sicherlich ein Tiefpunkt. Aber man sollte das auch nicht überbewerten, die Belastung für die politischen Entscheidungsträger war hoch. Mittlerweile haben sich die Gemüter beruhigt. Es hat sich übrigens bestätigt, dass die Industrie viel Gas einsparen konnte, ohne dass die Produktion kollabiert.

Es entsteht häufig der Eindruck, dass zwischen Politikberatung und wissenschaftlicher Karriere ein Spanungsverhältnis besteht. Kann man diese Welten zusammenbringen?

CLEMENS FUEST Forschung benötigt Zeit und beschäftigt sich nicht immer mit Fragen, die für die Politikberatung unmittelbar relevant sind. Es gehört aber zur Arbeit am ifo Institut, dass unsere Forschungsthemen anwendungsorientiert sind. Die größte Herausforderung besteht darin, dass Krisen unvorhersehbar sind und plötzlich erheblicher Beratungs- und Aufklärungsbedarf zu Fragen entsteht, die nicht immer im Mittelpunkt der längerfristig orientierten Forschung stehen. Trotzdem ist ein breites Forschungsportfolio, wie das ifo Institut es hat, die beste Basis dafür, kurzfristig auf neue Herausforderungen zu reagieren. Grundsätzlich ist es für gute Wirtschaftsforschung schon auch wichtig, über die Relevanz der Fragen und der Ergebnisse sorgfältig nachzudenken.

„Ich bin nicht immer mit den Entscheidungen der Politik zufrieden – aber darum geht es auch nicht.“

Prof. Dr. Dr. h.c. Clemens Fuest, Präsident des ifo Instituts

„Forschungsexzellenz ist grundlegend: Die besten Köpfe wollen an den besten Forschungseinrichtungen arbeiten.“

Prof. Dr. Dr. h.c. Clemens Fuest, Präsident des ifo Instituts

Frau Dittmer, was bringt die neue Situation an Herausforderungen für das Management des ifo Instituts mit sich?

STEPHANIE DITTMER Wir merken momentan eigentlich am stärksten die Veränderungen am Arbeitsmarkt – das geringe Angebot an qualifizierten Fachkräften, den Wettbewerb um Nachwuchswissenschaftler*innen, den Generationswechsel. Sicher müssen wir angesichts schwer kalkulierbarer Energiepreise und den Tarifsteigerungen, die uns erwarten, auch immer wieder unsere finanzielle Situation genau anschauen und bewerten.

Eigene Studien aus dem Bereich Bildung haben erhebliche Langzeitfolgen der Coronakrise auf die Leistungen von Schüler*innen attestiert. Wie hat sich die Coronakrise auf die Performance des ifo Instituts ausgewirkt?

STEPHANIE DITTMER Wir haben unsere Arbeit im ifo sehr schnell auf digitale Formate umgestellt, gleichzeitig ist es für erhebliche Teile der wissenschaftlichen Arbeit vergleichsweise leicht, sie ins Homeoffice zu verlegen. Das gilt allerdings nur eingeschränkt für Konferenzen und Seminare. Auch die sind auf digitale Formate umgestellt worden, und wir haben neue Möglichkeiten genutzt, nicht nur Vorträge und Diskussionen dazu, sondern auch informelle Gespräche digital zu organisieren. Trotzdem hat sich gezeigt, dass die persönliche Begegnung nicht ohne weiteres ersetzbar ist. Bislang sehen wir keine negativen Folgen im Sinne eines sinkenden Outputs. Aber um das abschließend zu bewerten, ist es noch zu früh.

Gibt es auch in der Wissenschaft Langzeitfolgen der Corona-Pandemie? Gerade Wissenschaftlerinnen haben mit erhöhtem Aufwand (Care-Arbeit) zu kämpfen. Oder hilft es den Wissenschaftler*innen, wenn sie mehr Denkarbeit im stillen Kämmerlein verrichten können?

CLEMENS FUEST Je nach persönlicher und familiärer Lage gibt es erhebliche Unterschiede. Schwierig war die Integration neuer Kolleg*innen und insbesondere junger Wissenschaftler*innen, die den Mangel an sozialer Interaktion mit anderen besonders spüren.

Woran bemessen Sie Exzellenz der Arbeit des ifo Instituts?

STEPHANIE DITTMER Das ifo Institut hat klar definierte Ziele – exzellente Forschung, Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses, Politikberatung, Beteiligung an öffentlichen Debatten und Service, beispielsweise durch die Bereitstellung von Daten. Diese Ziele stehen nicht isoliert nebeneinander, Forschungsexzellenz ist beispielsweise die Grundlage für Politikberatung und Beiträge zur öffentlichen Debatte, und Forschungsexzellenz wäre ohne unseren hervorragenden wissenschaftlichen Nachwuchs nicht realisierbar. Forschungsexzellenz messen wir an Publikationen in renommierten internationalen Fachzeitschriften, die Nachwuchsförderung messen wir daran, dass unsere Nachwuchswissenschaftler*innen in ihren Karrieren erfolgreich sind, also auf Professuren berufen werden oder attraktive Positionen in internationalen Organisationen, Unternehmen oder Ministerien bekommen. Erfolge in der Politikberatung messen wir daran, dass wir Beratungsaufträge erhalten und ifo-Wissenschaftler*innen in Politikberatungsgremien berufen werden.

„Es ist ein Privileg, in dieser Situation dringend benötigte Informationen und Analysen beisteuern zu können.“

Dr. Stephanie Dittmer, Vorstand ifo Institut

„Wir müssen mit einem geringen Angebot an Fachkräften umgehen und den Generationswechsel meistern.“

Dr. Stephanie Dittmer, Vorstand ifo Institut

Der „War for Talents“ hat längst auch die Wissenschaft erreicht – wie kann das ifo Institut für sich werben?

CLEMENS FUEST Die besten Köpfe wollen an den besten Forschungseinrichtungen arbeiten. Deshalb ist Forschungsexzellenz für uns grundlegend. Außerdem bietet das ifo Institut ein unverwechselbares Profil, das in der Kombination von Forschung, Politikberatung und der Einbindung in öffentliche Debatten besteht. Hinzu kommt unser Schwerpunkt in der Erhebung von Unternehmensdaten und die internationale Vernetzung im Rahmen des CESifo-Netzwerkes. Durch diese Besonderheiten sind wir im Wettbewerb um Talente sehr gut positioniert.

Herr Fuest, können Sie jungen Menschen, die Karriere in der Wissenschaft machen wollen, genauso viel bieten wie eine Universität?

CLEMENS FUEST Das ifo Institut arbeitet sehr eng mit Universitäten zusammen, vor allem mit der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Dadurch hat der wissenschaftliche Nachwuchs bei uns Zugang zu universitärer Forschung und Lehre. Zugleich unterscheiden wir uns von der Universität darin, dass Lehre bei uns eine geringere Rolle spielt, dafür die Politikberatung und die Beteiligung an öffentlichen Debatten eine größere. Viele junge Menschen wollen in dieser Gesellschaft etwas bewegen, außerdem eröffnet diese Arbeit vielfältige berufliche Perspektiven, deshalb ist dieser Aspekt der Arbeit am ifo für sie besonders spannend. Wir sind beim Placement unseres wissenschaftlichen Nachwuchses sehr erfolgreich, viele Nachwuchswissenschaftler*innen werden auf Professuren berufen oder wechseln auf attraktive Positionen in internationalen Organisationen – etwa der OECD –, die sehr umkämpft sind.

Das Gespräch führte Dr. Cornelia Geißler, Bereichsleiterin Kommunikation

Dr. Stephanie Dittmer ist seit September 2017 Mitglied des Vorstands am ifo Institut. Zuvor war sie Leiterin Strategie, Impuls- und Vernetzungsfonds an der Helmholtz-Akademie für Führungskräfte, Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren e.V.

Prof. Dr. Dr. h. c. Clemens Fuest ist seit April 2016 Präsident des ifo Instituts, zuvor war er Präsident und wissenschaftlicher Direktor des ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung und Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Mannheim.

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Dr. Cornelia Geißler

Dr. Cornelia Geißler

Bereichsleiterin Kommunikation
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