ifo Konjunkturprognose

ifo Konjunkturprognose Winter 2023: Konjunkturerholung verzögert sich – Haushaltslücke birgt neue Risiken

Die Weichen für die deutsche Wirtschaft sind auf Erholung gestellt. Die Inflation ist weiter auf dem Rückzug, die Lohneinkommen steigen mit kräftigen Raten, und die Beschäftigung ist so hoch wie nie zuvor im wiedervereinigten Deutschland. Damit kehrt Kaufkraft zurück, und die gesamtwirtschaftliche Nachfrage sollte wieder zulegen. Das preisbereinigte Bruttoinlandsprodukt wird voraussichtlich im kommenden Jahr um 0,9% steigen, nach einem Rückgang um 0,3% in diesem Jahr. Im Jahr 2025 dürfte sich die Konjunktur dann normalisieren. Das preisbereinigte Bruttoinlandsprodukt dürfte im Vergleich zum Vorjahr um 1,3% zulegen.

Deutsche Wirtschaft tritt auf der Stelle

Im Verlauf dieses Jahres haben die Inflationsrate nachgelassen und sich der Anstieg der Lohneinkommen im Vergleich zum Vorjahr beschleunigt. Allerdings blieb die Erholung beim privaten Konsum bislang aus, auch weil ein Teil des Kaufkraftplus gespart wurde. Vom globalen Warenhandel und der globalen Industrieproduktion kamen auch keine Impulse. Notenbanken dämpften vielerorts die Konjunktur zur Bekämpfung der Inflation, und im Zuge der Erholung von der Coronakrise waren weltweit vor allem Dienstleistungen im Aufwind. Daher setzten die deutschen Exporte ihre Talfahrt bis zuletzt fort. Kräftige expansive Impulse kamen lediglich von den staatlichen Investitionen. Hier macht sich vor allem die Beschaffung von Rüstungsgütern aus dem Sondervermögen Bundeswehr bemerkbar. Insgesamt kühlte sich damit die Konjunktur seit Jahresbeginn spürbar ab und die Erholung, die ursprünglich für die zweite Jahreshälfte erwartet wurde, blieb aus.

Inflation rückläufig

Grundsätzlich sind im Prognosezeitraum die Weichen auf Erholung gestellt. Die Inflation ist weiter auf dem Rückzug. Zudem dürfte wegen der sinkenden Inflation auch der Zinshöhepunkt überschritten sein. Kapitalmarkt- und Kreditzinsen sinken bereits seit Anfang November, und im Frühsommer des kommenden Jahres dürfte die Europäische Zentralbank eine erste Leitzinssenkung beschließen. Das dürfte auch die deutschen Absatzmärkte stützen, zumal auch dort mit einem Kaufkraftplus zu rechnen ist. Daher sollten der globale Warenhandel und der Warenkonsum wieder zulegen und im kommenden Jahr zu den Konjunkturtreibern werden. Insgesamt jedoch dürfte auch das Jahresende noch schwach ausfallen. Bei privaten Haushalten und Unternehmen ist die Stimmung schlecht. Allerdings setzten sich die Rückgänge der vergangenen Monate nicht fort, und in vielen Bereichen konnten leichte Verbesserungen verbucht werden.

„Die Weichen sind auf Erholung gestellt, doch die Haushaltslücke birgt neue Risiken für die deutsche Wirtschaft im kommenden Jahr.“

Prof. Dr. Timo Wollmershäuser, Stellvertretender Leiter des ifo Zentrums für Makroökonomik und Befragungen und Leiter Konjunkturprognosen

Konjunktur erholt sich nur langsam

Alles in allem wird die gesamtwirtschaftliche Leistung im laufenden Quartal wohl nur stagnieren. Ab dem kommenden Jahr dürfte sich die Konjunktur dann allmählich erholen und die Wirtschaft mit kräftigeren Raten wachsen. Damit wird das preisbereinigte Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr um 0,3% zurückgehen und im kommenden Jahr um 0,9% zunehmen. Im Vergleich zur ifo Konjunkturprognose vom Herbst 2023 wurde damit die Wachstumsrate für das laufende Jahr um 0,1 Prozentpunkte angehoben und für das kommende Jahr um 0,5 Prozentpunkte gesenkt.

Die Zuwachsraten für das laufende und die kommenden Quartale wurden gesenkt und damit das Tempo der Erholung herabgesetzt. Im Jahr 2025 dürfte sich die Konjunktur dann normalisieren. Das preisbereinigte Bruttoinlandsprodukt dürfte im Vergleich zum Vorjahr um 1,3% zulegen und damit um 0,1 Prozentpunkt stärker als noch im Herbst erwartet. Damit dürfte sich bis zum Ende des Prognosezeitraums die Lücke zum Produktionspotenzial schließen.

Arbeitsmarkt

Die wirtschaftliche Flaute wird auch am Arbeitsmarkt ihre Spuren hinterlassen. Im Winterhalbjahr dürfte die Erwerbstätigkeit stagnieren, bevor sie dann ab dem Frühjahr im Zuge der Erholung wieder etwas steigen wird. Im Jahresdurchschnitt dürfte sich der Anstieg der Zahl der Erwerbstätigen von 353 000 im laufenden und 83 000 im kommenden Jahr auf 9 000 im Jahr 2025 verlangsamen. Die Arbeitslosigkeit wird in diesem Jahr voraussichtlich um 191 000 Personen und im kommenden Jahr um weitere 82 000 Personen steigen. Im Jahr 2025 ist mit einem Rückgang um 113 000 zu rechnen. In der Folge liegt die Arbeitslosenquote in den Jahren 2024 und 2025 voraussichtlich bei 5,9% bzw. 5,6% nach 5,7% im laufenden Jahr.

Finanzpolitik

Die Finanzpolitik ist im laufenden Jahr nochmals leicht expansiv ausgerichtet. Haupttreiber dafür sind Maßnahmen im Zusammenhang mit der Bekämpfung der Energiekrise. In den kommenden beiden Jahren ist der finanzpolitische Kurs mit hoher Unsicherheit behaftet. Die vorliegende Prognose geht von der Annahme aus, dass ungeachtet der Haushaltslücke alle bisher geplanten finanzpolitischen Maßnahmen umgesetzt werden. Damit dürfte die Finanzpolitik auf einen leicht restriktiven Kurs einschwenken, da mehr Maßnahmen wegfallen als neue hinzukommen. Das Finanzierungsdefizit des Staates wird dann von 77 Mrd. Euro bzw. 1,9% des nominalen Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2023 auf 48 Mrd. Euro bzw. 1,1% des nominalen Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2025 sinken. Der Schuldenstand nach den Maastricht-Kriterien wird von 64,3% in diesem Jahr auf 63,1% des nominalen Bruttoinlandsprodukts am Ende des Prognosezeitraums sinken.

Sollten zusätzliche Konsolidierungsmaßnahmen beschlossen werden, um einen verfassungskonformen Haushalt aufzustellen, ist es sehr wahrscheinlich, dass die vorliegende Prognose zu optimistisch ist. So dürften nach Schätzungen mit dem ifo-DSGE-Modell Konsolidierungsmaßnahmen im Umfang von beispielsweise 20 Mrd. Euro mit einem Wachstumsverlust von etwa 0,2 Prozentpunkten im kommenden Jahr einhergehen. Würden die Maßnahmen so umgesetzt werden, wie es in der Simulation unterstellt wurde, läge der Anstieg des preisbereinigten Bruttoinlandsprodukts im kommenden Jahr nur noch bei 0,7 Prozent.

Infografik, ifo Konjunkturprognose Winter 2023, Deutschland

Eckdaten der Prognose für Deutschland

Infografik, ifo Konjunkturprognose Winter 2023, Eckdaten
Infografik, ifo Konjunkturprognose Winter 2023, Eckdaten

Euroraum und Weltwirtschaft

Im Euroraum hat sich die Konsumnachfrage der privaten Haushalte angesichts der ungünstigeren Reallohnentwicklung abgeschwächt. Zudem belastet der Energiepreisschock des Vorjahres noch die Industriekonjunktur, vor allem in den industriestarken Regionen Mitteleuropas. Die gesamtwirtschaftliche Produktion blieb vom vierten Quartal 2022 bis zum dritten Quartal 2023 weitgehend unverändert. Dennoch sind die Arbeitsmärkte auch im Euroraum weiterhin angespannt. Die demografisch bedingte Verknappung des Arbeitskräfteangebots erhöht die Suchkosten und senkt die Rekrutierungschancen der Unternehmen. Beschäftigte dürften daher trotz Unterauslastung eher in den Betrieben gehalten werden. Die Inflationsrate sank zuletzt zügig, auf 2,4% im November 2023, und befindet sich somit nur mehr knapp über dem Zielwert der Europäischen Zentralbank (EZB).

Im Euroraum dürfte sich der Zuwachs der gesamtwirtschaftlichen Produktion von 0,5% im laufenden Jahr auf 1,0% im kommenden und 1,5% im Jahr 2025 beschleunigen; dies entspricht einer leichten Abwärtsrevision von 0,2 Prozentpunkten für das Jahr 2024 und 0,1 Prozentpunkte für das Jahr 2025.

In den USA herrscht entgegen allen Erwartungen eine robuste Konjunktur, die Konsumausgaben der privaten Haushalte stützten auch im dritten Quartal die Nachfrage. Zudem ist die Fiskalpolitik im laufenden Jahr äußerst expansiv, das gesamtwirtschaftliche Haushaltsdefizit hat sich von 4,0% des BIP im Jahr 2022 auf 7,4% im Jahr 2023 erhöht. Die Inflationsrate verharrt dementsprechend auf über 3%.

In China wird die strukturelle Immobilienkrise durch stimulierende Staatseingriffe übertüncht, das Wirtschaftswachstum hat sich im dritten Quartal beschleunigt. Im Gegensatz zu den meisten anderen Volkswirtschaften gibt es in China keinen nennenswerten Verbraucherpreisanstieg, zwischenzeitlich sind die Preise sogar gesunken.

Alles in allem dürfte sich der Zuwachs der Weltproduktion von 2,7% im laufenden auf 2,0% im kommenden und 2,3% im Jahr 2025 verringern

Infografik, ifo Konjunkturprognose Winter 2023, Euroraum
Infografik, ifo Konjunkturprognose Winter 2023, Welt

Risiken

  • Haushaltslücke
  • Wirtschaftspolitische Unsicherheit
  • Auswirkungen des Ukraine-Kriegs/Gaza-Kriegs
  • Lohn- und Inflationsentwicklung
Video

ifo Pressekonferenz: ifo Konjunkturprognose Winter 2023: Konjunkturerholung verzögert sich – Haushaltslücke birgt neue Risiken

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