Gemeinschaftsdiagnose

Gemeinschaftsdiagnose Frühjahr 2024: Gegenwind aus In- und Ausland – Institute revidieren Prognose deutlich nach unten

Die Wirtschaft in Deutschland ist aus Sicht der fünf führenden Wirtschaftsforschungsinstitute angeschlagen. In ihrem Frühjahrsgutachten revidieren sie ihre Prognose für das laufende Jahr deutlich nach unten und erwarten nun nur noch einen Zuwachs der Wirtschaftsleistung um 0,1%.

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Entwicklung in Deutschland

Die Wirtschaft in Deutschland ist angeschlagen. Eine bis zuletzt zähe konjunkturelle Schwächephase geht mit schwindenden Wachstumskräften einher. In der lahmenden gesamtwirtschaftlichen Entwicklung überlagern sich somit konjunkturelle und strukturelle Faktoren. Zwar dürfte ab dem Frühjahr eine Erholung einsetzen, die Dynamik wird aber insgesamt nicht allzu groß ausfallen.

Derzeit bewegt sich die Wirtschaftsleistung auf einem Niveau, das kaum über dem vor der Pandemie liegt. Seitdem tritt die Produktivität auf der Stelle, und die inzwischen um über 600 000 höhere Zahl der Erwerbstätigen kompensiert im Wesentlichen nur die niedrigere durchschnittlich geleistete Arbeitszeit. Hierbei spielt allerdings auch der gegenüber dem Trend weiterhin stark erhöhte Krankenstand eine Rolle. Sofern sich dieser – wie von den Instituten unterstellt – bis zum Ende des kommenden Jahres zurückbildet, steht wieder ein um 1,5% höheres Arbeitsvolumen zur Verfügung.

Das von den Instituten im vergangenen Herbst bereits für das Winterhalbjahr erwartete Anziehen der Wirtschaftsleistung ist ausgeblieben, auch wenn sich der private Konsum als leicht stützend erwiesen hat. Außen- wie binnenwirtschaftlich gab es mehr Gegen- als Rückenwind. So sind die deutschen Ausfuhren gesunken, während die weltwirtschaftliche Aktivität bis zuletzt gestiegen ist. Dies liegt vor allem daran, dass die für die deutschen Exportunternehmen bedeutsame Nachfrage nach Investitions- und Vorleistungsgütern schwach blieb. Insbesondere bei energieintensiven Gütern hat auch die preisliche Wettbewerbsfähigkeit gelitten, und Produktion ist ins Ausland abgewandert.

Nach wie vor gehen die Institute davon aus, dass sich das Verhältnis aus Welthandel und Weltproduktion allmählich normalisiert. Im Zuge eines wieder stärkeren Gleichlaufs sollten sich auch für deutsche Exporteure die Absatzaussichten aufhellen, insbesondere in den für sie bedeutsamen Güterkategorien. Impulse für die Konjunktur sind von dieser Seite aber nicht vor Mitte des laufenden Jahres zu erwarten. Während in diesem Jahr die konsumbezogenen Auftriebskräfte dominieren, wozu auch ein robuster Arbeitsmarkt beiträgt, treibt im kommenden Jahr vermehrt das Auslandsgeschäft die Konjunktur.

Alles in allem revidieren die Institute ihre Prognose für die Veränderung des Bruttoinlandsprodukts im laufenden Jahr gegenüber ihrem Herbstgutachten deutlich um 1,2 Prozentpunkte nach unten auf nunmehr 0,1%. Die Prognose für die Rate im kommenden Jahr bleibt mit 1,4% nahezu unverändert (Rücknahme um 0,1 Prozentpunkte), geht aber mit einem um über 30 Mrd. Euro geringeren Volumen der Wirtschaftsleistung einher. Die Werte für die jahresdurchschnittliche Veränderung überzeichnen die Unterschiede in der konjunkturellen Dynamik beider Jahre, die ausweislich der jeweiligen Verlaufsraten mit 1,0% und 1,5% weniger ausgeprägt sind. Gleichwohl verlagert sich die Erholung nunmehr stärker in das kommende Jahr.

Behutsame Reform der Schuldenbremse

Wirtschaftspolitisch empfehlen die Institute eine behutsame Reform der Schuldenbremse. Im Grundsatz unterstützen sie den von der Deutschen Bundesbank vorgelegten Vorschlag und regen an, nach einer gesamtwirtschaftlichen Notlage, für die die Ausnahmeklausel aktiviert wurde, den Übergang zur regulären Defizitbegrenzung nicht länger abrupt, sondern stufenweise erfolgen zu lassen. Eine solches regelgebundenes Wiederscharfstellen trüge den ökonomischen Nachwehen adverser Schocks Rechnung und würde auch über eine bessere Vorhersehbarkeit der Finanzpolitik stabilisierend wirken.

Wichtiger als eine Ausweitung der gesamtstaatlichen Verschuldungskapazität wäre jedoch eine Neugestaltung der Finanzverfassung. Diese müsste zum Ziel haben, die kommunalen Investitionen, die gut 40% der gesamten öffentlichen Investitionen ausmachen, von kurzfristigen Haushaltsnöten abzuschirmen und die konjunkturellen Schwankungen nur bei Bund und Ländern durchschlagen zu lassen. Die Einnahmen der Kommunen ließen sich etwa durch einen Hebesatz auf die Einkommenssteuer anstelle der Gewerbesteuer weniger konjunkturreagibel gestalten. Damit eine solche durchgreifende Finanzreform nicht an den fiskalischen Unwägbarkeiten einzelner Haushaltsjahre scheitert, sollte bei ihrem Inkrafttreten übergangsweise eine Ausnahme von der Schuldenregel zugelassen werden.

Grafik Gemeinschaftsdiagnose Frühjahr 2024: Bruttoinlandsprodukt in Deutschland

Weltkonjunktur etwas verbessert

Im Jahr 2023 expandierte die Weltwirtschaft zwar nur in moderatem Tempo, sie zeigte sich angesichts vielfältiger Belastungen aber insgesamt recht robust. Nachdem sich die internationale Konjunktur im Verlauf des zweiten Halbjahres 2023 abgeschwächt hatte, scheint sie zu Beginn des Jahres 2024 wieder etwas an Schwung zu gewinnen. Die Stimmungsindikatoren haben sich verbessert, und an den Finanzmärkten sind die Aktienkurse stark gestiegen. Anregend wirkt, dass die Energiepreise wieder niedriger sind und die inflationsbedingt gesunkene Kaufkraft in den meisten Ländern inzwischen wieder steigt.

Insgesamt rechnen die Institute mit Zuwachsraten der Weltproduktion von 2,5% im Jahr 2024 und 2,6% im Jahr darauf. Damit revidieren sie ihre Prognose für die Weltproduktion für das Jahr 2024 um 0,2 Prozentpunkte nach oben und für 2025 um 0,1 Prozentpunkt nach unten. In den fortgeschrittenen Volkswirtschaften verändert sich der Produktionsanstieg im Jahresdurchschnitt mit Raten von 1,6 % im laufenden Jahr und 1,7% im kommenden Jahr ebenfalls nur wenig. Für den Euroraum beläuft sich die erwartete Zunahme des Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2024 auf 0,7% und im Jahr 2025 auf 1,6%. Der weltweite Warenhandel wird nach dem deutlichen Rückgang im vergangenen Jahr im laufenden Jahr voraussichtlich um 1,3% zunehmen. Im Jahr 2025 dürfte der Welthandel mit 2,2% wieder in etwa so stark steigen wie im längerfristigen Trend.

Grafik Gemeinschaftsdiagnose Frühjahr 2024: reales Bruttoinlandsprodukt im Euroraum
Grafik Gemeinschaftsdiagnose Frühjahr 2024: reales Bruttoinlandsprodukt im Euroraum

Risiken

  • Geopolitische Risiken
  • Handelspolitische Spannungen
  • Strukturwandel und Wachstumsperspektiven
  • Krankenstand
  • Politikunsicherheit

 

Kontakt
Prof. Dr. Timo Wollmershäuser, Stellvertretender Leiter des ifo Zentrums für Makroökonomik und Befragungen

Prof. Dr. Timo Wollmershäuser

Stellvertretender Leiter des ifo Zentrums für Makroökonomik und Befragungen und Leiter Konjunkturprognosen
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