Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen: Ökonomen bewerten wirtschaftliche Auswirkungen
Nach den Landtagswahlen am 01. September 2024 blickt nicht nur die Bundesregierung besorgt auf die Wahlergebnisse in Sachsen und Thüringen. Ökonominnen und Ökonomen sowie Wirtschaftsverbände warnen vor Abwanderung von Fachkräften und erwarten negative wirtschaftliche Konsequenzen. Die Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen nehmen wir im 48. Ökonomenpanel von ifo und FAZ zum Anlass, deutsche VWL-Professorinnen und VWL-Professoren nach Ihrer Einschätzung zu den ökonomischen Auswirkungen der Wahlergebnisse zu befragen. An der Umfrage im Zeitraum vom 03. September bis zum 10. September nahmen 185 Ökonominnen und Ökonomen teil.
Negative Auswirkungen auf wirtschaftliche Entwicklung erwartet
Mit 30,6% der Stimmen liegt die Alternative für Deutschland (AfD) in Sachsen Kopf an Kopf mit der CDU von Ministerpräsident Michael Kretschmer (31,9%). Aus dem Stand erzielt das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) ein Wahlergebnis von 11,8%. Um weiter regieren zu können, wäre die CDU auf eine Zusammenarbeit mit dem BSW und der SPD angewiesen. Die Effekte dieser Wahlergebnisse auf die wirtschaftliche Entwicklung Sachsens schätzen mehr als die Hälfte der Teilnehmenden am Ökonomenpanel als negativ (56%) bzw. sehr negativ (11%) ein. Keinerlei ökonomische Auswirkungen erwarten 28% der Teilnehmenden. Positive oder sogar sehr positive Effekte werden nur von einer kleinen Minderheit der VWL-Professorinnen und VWL-Professoren erwartet. Mit „Weiß nicht“ antworten 2% der Teilnehmenden.
Die AfD ist bei der Landtagswahl in Thüringen mit 32,8% der Stimmen stärkste Kraft und landet damit deutlich vor der CDU (23,6 %). Das BSW erreicht aus dem Stand 15,8 % und damit den dritten Platz. Die Linkspartei von Ministerpräsident Bodo Ramelow, 2019 noch stärkste Kraft, fällt auf den vierten Platz (13,1 %) zurück. Die Regierungsbildung in Thüringen gestaltet sich somit als äußerst schwierig. Eine mögliche Minderheitsregierung aus CDU, BSW und SPD wäre nur möglich, wenn die Linke dieses Bündnis toleriert. Die Effekte dieses Wahlergebnisses in Thüringen stufen rund ein Drittel der Teilnehmenden am Ökonomenpanel als sehr negativ ein. Weitere 40% sehen negative Konsequenzen auf die wirtschaftliche Entwicklung. Weder positive noch negative Entwicklungen erwarten 21% der Teilnehmenden. Positive bzw. sehr positive Effekte, die aus dem Wahlergebnis in Thüringen resultieren, sieht hingegen kaum jemand. Etwa 2% antworten mit „Weiß nicht“.
Attraktivität für Fachkräfte besonders negativ von Wahlerfolgen der AfD betroffen
Die Wahlerfolge der AfD in Sachsen und Thüringen sorgen unter den VWL-Professorinnen und VWL-Professoren für deutliche Reaktionen. Die Folgen für Sachsen und Thüringen als Wirtschaftsstandort bewerten knapp 80% der Teilnehmenden als negativ bzw. sehr negativ. Rund 17% sehen keine Auswirkungen und nur rund 3% sehen positive bzw. sehr positive Auswirkungen auf den Wirtschaftsstandort des jeweiligen Bundeslands. Hinsichtlich der Effekte auf Investitionsentscheidungen von Unternehmen sehen die Ökonominnen und Ökonomen ähnliche Tendenzen. Sie begründen dies damit, dass ansässige Unternehmen zwar nicht gleich wegziehen würden, aber Investitionen drosseln könnten. Geplante Neuansiedlungen könnten schneller abgesagt werden. Auch würde die Politik, für die die AfD steht, die Attraktivität für Unternehmen und Fachkräfte gegenüber den westlichen Bundesländern reduzieren. Besonders die Auswirkungen auf die Attraktivität für Fachkräfte sehen die Teilnehmenden als gravierend an. Allein 54% stufen die Folgen der Wahlergebnisse der AfD als sehr negativ ein und weitere 30% als negativ. Nur 10% sehen keine Auswirkungen; 4% geben positiv bzw. sehr positiv an. Die Attraktivität für Fachkräfte in Thüringen oder Sachsen zu arbeiten, würde aufgrund einer starken AfD weiter sinken. Nicht nur ausländische, sondern auch einheimische Aka-demikerinnen und Akademiker würden nunmehr ein unattraktives Klima vorfinden.
Auswirkungen der Wahlergebnisse des BSW im Vergleich zur AfD etwas weniger negativ bewertet
Die wirtschaftlichen Auswirkungen des Erfolges des BWS bei den Landtagswahlen bewerten die VWL-Professorinnen und VWL-Professoren überwiegend kritisch, sind aber etwas positiver als bei den Auswirkungen des AfD-Erfolges. Hinsichtlich der Wirtschaftsstandorte Sachsen und Thüringen sehen etwa 47% bzw. 13% der Teilnehmenden negative bzw. sehr negative Auswirkungen. Rund 34% sehen hingegen keine Auswirkungen; 2% erwarten eher positive und 4% antworten mit „Weiß nicht“. Die Ökonominnen und Ökonomen beschreiben, dass die Wirtschaftspolitik des BSW eher von sozial(istisch)en Ideen beeinflusst sei. Auch würde die Unsicherheit aufgrund nicht bekannter Inhalte zunehmen und unternehmerische Entscheidungen verzögern. Ähnlich zur AfD würde das BSW keine Positionen vertreten, die den Wirtschaftsstandort stärken. Effekte auf Investitionsentscheidungen von Unternehmen stufen 21% bzw. 41% der Ökonominnen und Ökonomen als sehr negativ bzw. negativ ein. Linke sozialistische Ideen und rechte Ideologien würden Investoren abschrecken. Keine Effekte sehen 33% der Teilnehmenden; während 1% positive Effekte sehen und 5% mit „Weiß nicht“ antworten. Hinsichtlich der Attraktivität für Fachkräfte bewerten VWL-Professorinnen und VWL-Professoren die Auswirkungen der Wahlergebnisse des BSW als weniger negativ im Vergleich zur AfD. Etwa 39% bzw. 17% stufen die Effekte als negativ bzw. sehr negativ ein. Allerdings sehen 39% keine Auswirkungen; lediglich 1% erwarten positive Effekte und 5% antworten mit „Weiß nicht“.
Wirtschaftliche Folgen von Minderheitsregierungen als eher negativ eingeschätzt
Bei der Frage, ob eine Minderheitsregierung in einem der Bundesländer negative wirtschaftliche Folgen hat, neigen die VWL-Professorinnen und VWL-Professoren zu negativen Folgen. Eine relative Mehrheit von 43% bejaht die Frage und rechnet mit negativen wirtschaftlichen Auswirkungen. Ihre Hauptargumente beziehen sich auf die politische Instabilität einer Minderheitsregierung, die zu Unsicherheit bei wirtschaftlichen Akteuren führt. Zudem könnten wichtige Reformen verzögert werden, da die Mehrheitsfindung erschwert ist. Gleichzeitig weisen sie darauf hin, dass eine Regierungsbeteiligung der AfD noch stärkere negative Auswirkungen hätte. Hingegen rechnen 31% der Ökonominnen und Ökonomen nicht mit negativen wirtschaftlichen Folgen im Falle einer Minderheitsregierung. Als Gründe nennen sie, dass die Wirtschaftspolitik eines Bundeslandes generell nur einen geringen Einfluss auf die gesamtwirtschaftliche Lage hat. Außerdem werden positive Beispiele von Minderheitsregierungen aus anderen Ländern wie Dänemark und den Niederlanden angeführt, die erfolgreich regiert haben. Insgesamt 27% der Teilnehmenden antworten mit „Weiß nicht“.
Migrationspolitik und Unzufriedenheit mit der Ampel als wichtigste Faktoren für den Erfolg der AfD
Gefragt nach den Gründen für den Wahlerfolg der AfD bei den Landtagswahlen sehen die teilnehmenden Ökonominnen und Ökonomen die Ursachen primär auf der Bundesebene. Insgesamt 84% ordnen die Migrationspolitik der aktuellen und vorherigen Bundesregierung als Ursache ein. Die Unzufriedenheit mit der Arbeit der Ampel-Koalition auf Bundesebene sehen 76% als wichtige Ursache. Andere aufgeführten Gründe auf Landesebene werden weniger oft genannt. So stufen nur 35% der VWL-Professorinnen und VWL-Professoren die demografische Entwicklung in Ostdeutschland als Faktor ein und lediglich 16% sehen die wirtschaftliche Lage in Ostdeutschland als entscheidenden Wahlgrund für die AfD. Weitere 11% nennen die Unzufriedenheit mit der Landesregierung als Faktor. Unter den ergänzenden weiteren Ursachen wird von den Teilnehmenden die Unzufriedenheit mit der Ukraine-Politik sowie die Frage von Krieg und Frieden genannt. Zudem sprechen einige das Gefühl des „abgehängt sein“ der Menschen in den ostdeutschen Bundesländern an. Mehrfachnennungen waren bei dieser Frage möglich.
Bundespolitik und Haltung zum Ukrainekrieg als Faktoren für den BSW-Erfolg
Bei den Faktoren für den Wahlerfolg des BSW werden von den Teilnehmenden die gleichen Gründe am häufigsten angegeben, wenngleich die Migrationspolitik etwas seltener (71%) benannt wird. Auch hier gehen viele der VWL-Professorinnen und VWL-Professoren von einer Protestwahl gegen die Politik der Ampel-Regierung aus (74%). Weitere zur Auswahl stehende Faktoren wie zum Beispiel der demografische Wandel und die wirtschaftliche Lage in Ostdeutschland werden ähnlich bewertet wie es bei Gründen für den Wahlerfolg der AfD der Fall ist. Unter den ergänzenden Faktoren sprechen die Ökonominnen und Ökonomen vor allem die Russlandpolitik des BSW und dessen Haltung im Ukrainekrieg, die in Ostdeutschland tendenziell besser ankommt als weiteren wichtigen Grund für die Wahlentscheidung an. Die Popularität der Gründerin des Bündnisses, Sahra Wagenknecht, wird ebenfalls als Wahlgrund genannt.
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