ifo Konjunkturprognose

ifo Konjunkturprognose Frühjahr 2021: Deutsche Wirtschaft taumelt in die dritte Coronawelle

Im Herbst 2020 nahm das Infektionsgeschehen mit dem Coronavirus wieder spürbar an Fahrt auf und hat sich zuletzt erneut beschleunigt. Dadurch verschiebt sich die konjunkturelle Erholung Deutschlands, die ursprünglich für das Frühjahr 2021 erwarte wurde, zeitlich im Jahresverlauf nach hinten. Das Bruttoinlandsprodukt dürfte in diesem Jahr um 3,7% zulegen und im kommenden Jahr um 3,2%. Betrachtet man die zusammengefasste Wirtschaftsleistung der Jahre 2020 bis 2022, belaufen sich die Kosten der Coronakrise nach dieser Prognose auf 405 Mrd. Euro.

Im Herbst 2020 nahm das Infektionsgeschehen mit dem Coronavirus wieder spürbar an Fahrt auf. Seit November des vergangenen Jahres wurde deshalb in mehreren Schritten die Schließung von Dienstleistungsbereichen beschlossen, die mit intensiven sozialen Kontakten einhergehen. Neben dem Gastgewerbe, Bildungs- und Betreuungseinrichtungen sowie Dienstleistern aus den Bereichen Kunst, Unterhaltung und Erholung zählten dazu ab Mitte Dezember auch Teile des Einzelhandels und körpernahe Dienstleistungen wie bspw. Frisöre. Zwar waren die Dynamik des Infektionsgeschehens und der Umfang der staatlichen Maßnahmen vergleichbar mit denen, die während der ersten Coronawelle im Frühjahr ergriffen wurden. Entsprechend sank die Wirtschaftsleistung in den betroffenen Dienstleistungsbereichen auf ein ähnlich niedriges Niveau. Allerdings brach im Gegensatz dazu die Wertschöpfung in der Industrie und im Baugewerbe sowie in industrie- und baunahen Dienstleistungsbereichen nicht ein, sondern nahm am Jahresende sogar kräftig zu. Insbesondere das exportorientierte Verarbeitende Gewerbe profitierte von einer fortschreitenden Erholung der Weltkonjunktur. Dazu dürfte auch beigetragen haben, dass insbesondere bei vielen außereuropäischen Handelspartnern pandemiebedingte Einschränkungen der Industrie ausblieben.

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Pressekonferenz: ifo Konjunkturprognose Frühjahr 2021: Deutsche Wirtschaft taumelt in die dritte Coronawelle

 ifo Konjunkturprognose, 24.03.2021

 

Durchgreifende Erholung lässt weiter auf sich warten

Zu Beginn des Jahres 2021 setzte sich die Erholung in der Industrie fort. Auftragseingänge, Exporterwartungen und Geschäftsklima stiegen bis zuletzt kräftig, so dass die Wertschöpfung im Verarbeitenden Gewerbe und in den industrienahen Dienstleistungsbereichen sowie die Exporte die Konjunktur im ersten Quartal spürbar stützen dürften. In den anderen Dienstleistungsbereichen ist die Wertschöpfung nach wie vor maßgeblich durch das Infektionsgeschehen geprägt. Vor allem die Schließung des stationären Nicht-Lebensmittel-Einzelhandels dürfte die konjunkturelle Dynamik im ersten Quartal kräftig belasten. In den anderen konsumnahen Dienstleistungsbereichen nehmen die negativen Impulse im Vergleich zum Schlussquartal 2020 hingegen ab, da sich Umsätze und Geschäftslage seit November auf niedrigem Niveau eher seitwärts bewegen. Alles in allem dürfte das preisbereinigte Bruttoinlandsprodukt im ersten Quartal 2021 um 0,7% im Vergleich zum Vorquartal sinken.

„Die Coronakrise zieht sich hin und verschiebt den erwarteten kräftigen Aufschwung nach hinten.“

Prof. Dr. Timo Wollmershäuser, Stellvertretender Leiter des ifo Zentrums für Makroökonomik und Befragungen und Leiter Konjunkturprognosen

Der weitere konjunkturelle Verlauf hängt entscheidend vom Fortgang des Infektionsgeschehens ab. Zwar wurde im März damit begonnen, einzelne Infektionsschutzmaßnahmen zu lockern. Dies spricht für sich genommen dafür, dass davon betroffene Wirtschaftsbereiche ihre Aktivität wieder hochfahren können. Die Erfahrung aus dem vergangenen Sommer zeigt, dass die damit einhergehende konjunkturelle Erholung sehr zügig verlaufen kann. Allerdings finden die aktuellen Lockerungen zu einem Zeitpunkt statt, in dem das Infektionsgeschehen nicht unter Kontrolle ist und die Impfkampagne ins Stocken zu geraten droht. Vieles spricht deshalb dafür, dass jüngste Lockerungen alsbald wieder zurückgenommen werden und eine durchgreifende Erholung weiter auf sich warten lässt. Die Nachfrage nach Dienstleistungen, die mit engen sozialen Kontakten einhergehen, dürfte sich jedoch auch dann nicht voll entfalten, wenn bei weiter steigenden Inzidenzwerten zuvor gelockerte Maßnahmen nicht wieder verschärft werden würden. Vor diesem Hintergrund sollte die gesamtwirtschaftliche Aktivität im zweiten und dritten Quartal 2021 mit ähnlichen Raten in Höhe von etwa 2% expandieren. Das Erreichen des Vorkrisenniveaus der Produktion von Waren und Dienstleistungen wird weiterhin Ende des Jahres 2021 erwartet.

Insgesamt dürfte das preisbereinigte Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr um 3,7% zulegen. Im kommenden Jahr normalisieren sich die vierteljährlichen Zuwachsraten allmählich. Im Jahresdurchschnitt 2022 wird das preisbereinigte Bruttoinlandsprodukt dennoch aufgrund der kräftigen Erholung zum Ende des laufenden Jahres um 3,2% höher liegen als in diesem Jahr. Betrachtet man die zusammengefasste Wirtschaftsleistung der Jahre 2020 bis 2022, belaufen sich die Kosten der Coronakrise nach dieser Prognose auf 405 Mrd. Euro.

Sinkende Arbeitslosigkeit ab Mitte des Jahres

Die Coronakrise hat auch am Arbeitsmarkt tiefe Spuren hinterlassen. Ein Großteil des Konjunktureinbruchs wurde dabei über einen Rückgang der Arbeitszeit der Beschäftigten und damit über die Inanspruchnahme von Kurzarbeit aufgefangen und beschränkt sich aktuell vorwiegend auf Beschäftigte im Handel und im Gastgewerbe. Die Arbeitsplatzverluste fielen im Vergleich zur Reduktion der Arbeitszeit eher gering aus. Im Zuge der ersten Coronawelle stieg die Zahl der Arbeitslosen um knapp 670 000 auf 2,94 Mio. Personen im Juni 2020. Seither ging die Arbeitslosigkeit kontinuierlich zurück und stieg im Februar 2021 erstmals geringfügig um 9 000 auf 2,75 Mio. Personen. Das ifo Beschäftigungsbarometer deutet für die kommenden Monate eher auf eine weitere geringfügige Zunahme der Arbeitslosigkeit hin. Zwar ist im Verarbeitenden Gewerbe die Einstellungsbereitschaft gestiegen. Allerdings zeigen sich vor allem die Einzelhändler und eine Reihe von Dienstleistern eher zurückhaltend. Dennoch dürfte die Arbeitslosigkeit spätestens ab Jahresmitte im Zuge der konjunkturellen Erholung wieder sinken. Bis Ende des Prognosezeitraums wird sie allmählich auf 2,4 Mio. Personen zurückgehen und damit nicht wieder ihr Vorkrisenniveau erreichen.

Eckdaten der Prognose für Deutschland

  2019 2020 2021 2022
Bruttoinlandsprodukt (Veränderung gegenüber Vorjahr in %)  0,6

-4,9 

3,7 3,2
Erwerbstätige (1.000 Personen) 45.269 44.782 44.846 45.279
Arbeitslose (1.000 Personen) 2.267 2.695 2.650 2.443
Arbeitslosenquote BA (in %) 5,0 5,9 5,8 5,3
Verbraucherpreise (Veränderung gegenüber Vorjahr in %) 1,4 0,5 2,4 1,7
Finanzierungssaldo des Staates 2019 2020 2021 2022
- in Mrd. EUR 52,5 -139,6 -122,9 -61,2
- in % des Bruttoinlandsprodukts 1,5 -4,2 -3,5 -1,7
Leistungsbilanzsaldo 2019 2020 2021 2022
in Mrd. EUR 258,6 231,9 275,6 263,5
- in % des Bruttoinlandsprodukts 7,5 7,0 7,8 7,1

 

Quelle: Statistisches Bundesamt; Bundesagentur für Arbeit; Deutsche Bundesbank; 2020 bis 2022: Prognose des ifo Instituts.
© ifo Institut Mrz. 2021

Steigende Inflationsrate

Die Inflationsrate ist zu Jahresbeginn kräftig gestiegen auf 1,3%, nachdem sie in der zweiten Jahreshälfte 2020 fast durchgängig negativ war. Dazu hat zum einen die Wiederanhebung der Mehrwertsteuer beigetragen, deren Senkung zuvor auch maßgeblich für die negativen Inflationsraten war. Zum anderen ziehen seit Ende vergangenen Jahres die Energiepreise deutlich an, was vor allem auf steigende Rohölpreise, aber auch auf die Einführung eines CO2-Preises für fossile Brennstoffe zum 1. Januar 2021 zurückzuführen ist. Jenseits dieser Sondereffekte, die das Preisniveau nur einmalig beeinflussen, ist die rein konjunkturelle Inflationsdynamik, gemessen an den um Energiepreise bereinigten Verbraucherpreisen eher schwach und sogar niedriger als in der ersten Jahreshälfte 2020. Bis zum Ende des laufenden Jahres wird sich die Inflation noch einmal kräftig beschleunigen und Raten von über 3% erreichen. Der rein konjunkturell bedingte Preisauftrieb, gemessen an den durchschnittlichen Vormonatsveränderungsraten des Verbraucherpreisindex ohne Energie, dürfte weiterhin niedrig bleiben und sich um etwa 1,4% bewegen.

Risiken: Infektions- und Impfverlauf und schnellere Erholung der Nachfrage

Der gesamtwirtschaftliche Ausblick ist mit vielen Unwägbarkeiten verbunden. Ein bedeutendes Abwärtsrisiko für die kommenden Monate ergibt sich aus dem unterstellten Infektions- und Impfverlauf. Sollte die Erholung entgegen der hier getroffenen Annahme nicht bereits jetzt einsetzen, etwa weil es wieder zu einem vollständigen Shutdown kommt, dürfte die Prognose für dieses Jahr zu optimistisch sein. Nimmt man beispielsweise an, dass die Umsätze in den Dienstleistungsbereichen, die von intensiven sozialen Kontakten abhängigen, weitere drei Monate auf dem niedrigen Niveau, das zu Jahresbeginn verzeichnet wurde, verharren und dass eine allmähliche Öffnung erst ab Juni stattfindet, reduziert sich der Anstieg des Bruttoinlandsprodukts im zweiten Quartal 2021 von 2,1% auf 0,9%. Die Erholung dürfte sich damit weiter ins dritte Quartal verlagern und dann den gesamtwirtschaftlichen Produktionsanstieg von 1,8% auf 3,2% erhöhen. Dabei wird unterstellt, dass sich industrie- und baunahe Wirtschaftsbereiche in beiden Szenarien gleich entwickeln. Insgesamt fiele im Risikoszenario die Wachstumsrate für das Jahr 2021 um 0,3 Prozentpunkte niedriger aus und läge bei 3,4%. Im kommenden Jahr würde sie um 0,2 Prozentpunkte höher bei ebenfalls 3,4% liegen. Der mit der verzögerten Erholung einhergehende zusätzliche Wertschöpfungsverlust läge bei insgesamt 13 Mrd. Euro.

Schließlich könnte sich die gesamtwirtschaftliche Nachfrage aber auch schneller als hier skizziert erholen. Durch die eingeschränkten Konsummöglichkeiten und die aus einem Vorsichtsmotiv herrührende Konsumzurückhaltung hat sich bei den privaten Haushalten im vergangenen Jahr eine Überschussersparnis im Umfang von über 100 Mrd. Euro aufgestaut, die sich im laufenden Quartal noch einmal erhöhen dürfte. In der vorliegenden Prognose wird unterstellt, dass die privaten Haushalte diese Ersparnis während der Erholungsphase nicht verausgaben und die Sparquote, die während der beiden Shutdown-Phasen vorübergehend auf etwa 20% gestiegen war, bis Ende des Jahres 2021 auf ihr Vorkrisenniveau in Höhe von 11% zurückgeht. Gleichwohl besteht die Chance, dass sich zumindest ein Teil der Überschussersparnis entlädt und nachfragewirksam wird. Die Sparquote würde dann vorübergehend unter 11% sinken.

Kontakt
Prof. Dr. Timo Wollmershäuser, Stellvertretender Leiter des ifo Zentrums für Makroökonomik und Befragungen

Prof. Dr. Timo Wollmershäuser

Stellvertretender Leiter des ifo Zentrums für Makroökonomik und Befragungen und Leiter Konjunkturprognosen
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