Gastbeitrag

Regionale Vielfalt ist gut für Deutschland

Joachim Ragnitz


Quelle:
Focus

In der Debatte um gleichwertige Lebensverhältnisse ist Zentralismus die falsche Antwort. Die richtigen Lösungen muss die Politik vor Ort finden

Von Joachim Ragnitz

Die Unterschiede zwischen Ost und West sind immer noch ein Thema, das sich vor allem populistische Parteien zunutze machen. Nicht zuletzt deshalb hat die Politik den Abbau regionaler Ungleichheiten auf die Tagesordnung gebracht. Vor einem Jahr setzte die Bundesregierung die Kommission "Gleichwertige Lebensverhältnisse" ein. Sie kommt jetzt, 30 Jahre nach dem Mauerfall, zu dem Ergebnis, dass es zwischen Aachen und Görlitz weiterhin große Unterschiede gibt. Zum Beispiel bei den Einkommen. Beim Zugang zu Bildung. Oder auch bei der Infrastruktur.

Der Befund wirft Fragen auf: Wie viel Gleichheit braucht Deutschland? Wie stark soll der Bund darauf hinwirken, sie herzustellen? Und ist regionale Ungleichheit per se etwas Schlechtes?

Grundsätzlich krankt die Diskussion um gleichwertige Lebensverhältnisse daran, dass meist über Regionen gesprochen wird, aber nicht über die Menschen, die in ihnen leben. Dabei haben sie ganz unterschiedliche Vorstellungen davon, was ein gutes Leben ausmacht - und welche Güter der Staat dafür bereitstellen muss. Während den einen das Stadttheater besonders wichtig ist, genießen die anderen die Erholung in Parks oder Naturschutzgebieten.

Besser erscheint es deshalb, nicht die Region, sondern die in einer Region lebenden Menschen in den Mittelpunkt zu stellen und somit auch Unterschiede im Versorgungsniveau zuzulassen, wenn dies den Präferenzen der Bürger entspricht.

Der Bund will die Kommunen mit einem gesamtdeutschen Förderprogramm nun finanziell stärker unterstützen und seine Hilfe beim Abbau von Altschulden anbieten. Es bleibt aber fraglich, ob dieses stärkere Engagement des Bundes bei der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse tatsächlich hilft. Denn grundsätzlich ist es im föderalen Staat primär Aufgabe der Länder und ihrer Kommunen, für die öffentliche Daseinsvorsorge zu sorgen. Das hat einen guten Grund: Die beste Lösung für ein Ballungszentrum in Westdeutschland muss nicht unbedingt die beste für eine ländliche Region im Osten sein.

Natürlich hat der Staat eine Verantwortung, bestimmte öffentliche Güter allen Einwohnern unabhängig von ihrem Wohnort zur Verfügung zu stellen. Man wird sich leicht darauf einigen können, was dazugehört: die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit sowie grundlegende Bildungs-, Gesundheits- und Mobilitätsangebote. In diesen Bereichen sollte ein flächendeckendes Angebot aufrechterhalten werden. Bei Leistungen, die darüber hinausgehen - kulturelle Angebote, weiterführende Schulen, Krankenhäuser -, ist eine flächendeckende Versorgung dagegen schon aus Kostengründen nicht sinnvoll.

Die Diskussion um gleichwertige Lebensverhältnisse sollte sich insoweit vor allem darauf konzentrieren, wie viele Mittel- und Oberzentren in den Bundesländern ausgewiesen werden - und wie die Menschen im Umland sie erreichen können.

Dafür braucht es keine neuen Kompetenzen für den Bund, sondern innovative Lösungen vor Ort. Etwa beim öffentlichen Nahverkehr. So könnten Busse in Zukunft zielgerichtet nach Bedarf und nicht nach Fahrplan fahren. Nicht alle Gesundheitsdienstleistungen müssen zwingend von ausgebildeten Fachärzten erbracht werden. Und der Unterricht in Grundschulen kann auch jahrgangsübergreifend erfolgen.

Regionale Lösungen können von Vorteil sein, wenn die Bedürfnisse der Menschen unterschiedlich sind. Die Politik sollte im Streben nach mehr Gleichheit nicht alles bundeseinheitlich regeln. Im Gegenteil. Es ist gerade die regionale Vielfalt, die Deutschlandstark macht.

Joachim Ragnitz, 58, ist stellvertretender Leiter der Dresdner Niederlassung des ifo Instituts

 

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