Gastbeitrag

Tax Cuts Starve the Beast – Führen weniger Steuereinnahmen wirklich zu geringeren Staatsausgaben?

Clemens Fuest, Florian Neumeier und Daniel Stöhlker


Quelle:
Ökonomenstimme

Wie reagieren Regierungen auf Mindereinnahmen? Eine neue Studie untersucht diese Frage anhand der deutschen Bundesländer und zeigt: Steuerausfälle setzen insbesondere Verwaltung, soziale Absicherung und Infrastruktur unter Druck.

In den letzten 25 Jahren sind die Staatsausgaben in vielen westlichen Demokratien deutlich gestiegen. In den Mitgliedstaaten der Eurozone beispielsweise hat sich der Anteil der Staatsausgaben am Bruttoinlandsprodukt zwischen 1990 und 2015 von 41,6 Prozent auf 46,7 Prozent erhöht. Die öffentlichen Ausgaben sind also stärker gestiegen als die privaten. Im gleichen Zeitraum sind die Steuereinnahmen von 39,8 Prozent des BIP auf 44,6 Prozent gestiegen.

Die Bewertung dieser Entwicklung ist umstritten. Befürworterinnen und Befürworter argumentieren, dass mit steigendem Einkommen und durch die Alterung der Bevölkerung die Nachfrage nach öffentlichen Leistungen steigt. Außerdem seien öffentliche Investitionen hochproduktiv. Kritikerinnen und Kritiker halten dem entgegen, die wachsenden Steuerlasten würden die ökonomische Entwicklung belasten; die öffentlichen Ausgaben seien eher zu hoch und würden teilweise zur Bedienung von Partikularinteressen eingesetzt.

Für beide Seiten dieser Debatte ist es wichtig, die Faktoren zu verstehen, die das Wachstum öffentlicher Ausgaben fördern oder begrenzen. Unter Kritikern des Ausgabenwachstums ist die These verbreitet, der wirksamste Weg, Staatsausgaben zu begrenzen seien Steuersenkungen. Milton Friedman beispielsweise sagte dazu: „[…] der einzig effektive Weg Staatsausgaben zu beschränken ist die Begrenzung der Steuereinnahmen, genauso wie ein begrenztes Einkommen die einzig wirksame Begrenzung der Ausgaben eines einzelnen Bürgers oder einer Familie ist“ (Friedman, 1978). Ähnlich argumentierte Alan Greenspan anlässlich einer Anhörung des US-Senats. Auf Greenspans Aussagen berief sich später Ronald Reagan im Rahmen des Wahlkampfes um die US-Präsidentschaft 1980.

Die Idee, dass niedrigere Steuereinnahmen Staatsausgaben einschränken, wurde später bekannt als „Starving the beast“-Hypothese. Kritikerinnen dieser Hypothese bezweifeln allerdings, dass ausgabenfreudige Politikerinnen und Politiker sich durch Steuersenkungen disziplinieren lassen. Sie argumentieren, dass Steuersenkungen nur zu wachsender Verschuldung führen und die Nachhaltigkeit der Staatsfinanzen untergraben.

Romer und Romer (2009) untersuchen die „Starving the Beast“-Hypothese empirisch anhand der Einnahmen und Ausgaben im US-Bundeshaushalt. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass Steuersenkungen nicht zu sinkenden Ausgaben führen, sondern zu wachsenden Defiziten, die später durch Steuererhöhungen aufgefangen werden. Dieses Ergebnis spricht gegen eine Disziplinierungswirkung von Steuersenkungen. Romer und Romer (2009) räumen allerdings selbst ein, dass ihre empirische Analyse insofern problematisch ist, als sie sich ausschließlich auf den US-Bundeshaushalt konzentriert und ihre Schätzergebnisse letztlich nicht ausreichen, um die „Starving the Beast“-Hypothese eindeutig zu verwerfen.

Deutschland: Gute Voraussetzungen zur Untersuchung der „Starving the Beast“-Hypothese

In diesem Beitrag untersuchen wir die „Starving the Beast“-Hypothese in einem anderen institutionellen Kontext, nämlich dem des deutschen Föderalismus. Dieser institutionelle Rahmen erlaubt es uns, Effekte von Steuersenkungen auf öffentliche Ausgaben überzeugender zu identifizieren.

Wir betrachten Einnahmen und Ausgaben der deutschen Bundesländer im Zeitraum von 1992 bis 2011. Der deutsche Finanzföderalismus bietet für die Untersuchung der „Starving the Beast“-Hypothese wichtige Vorteile. Während die Bundesländer im Beobachtungszeitraum bei den Ausgaben und in der Verschuldungspolitik weitgehend autonom sind, haben sie nur sehr begrenzten Einfluss auf ihre Steuereinnahmen. Für die meisten Steuern werden Sätze und Bemessungsgrundlagen auf Bundesebene festgelegt. Darüber hinaus sorgt der Finanzausgleich für eine Nivellierung der Steuereinnahmen. Im Ergebnis sind die Steuereinnahmen weitgehend von der Gesetzgebung auf Bundesebene und der gesamtdeutschen Wirtschaftslage geprägt, weniger von ökonomischen Entwicklungen und finanzpolitischen Entscheidungen der einzelnen Länder selbst.

Dieser institutionelle Rahmen erlaubt es uns zu untersuchen, wie die Bundesländer in ihrer Ausgabenpolitik auf Steuereinnahmenänderungen reagieren, auf die sie so gut wie keinerlei Einfluss haben und die auch nicht durch Veränderungen innerhalb der jeweiligen Länder verursacht sind. Das ist eine Voraussetzung dafür, kausale Effekte von Steuereinnahmenänderungen auf Ausgaben zu identifizieren. Gleichzeitig ist zu berücksichtigen, dass die Möglichkeiten der Bundesländer, auf Steuereinnahmenänderungen zu reagieren, begrenzt sind. Sie haben kaum Steuerautonomie, können also nicht durch Erhöhung von Steuern reagieren, sondern hauptsächlich durch die Anpassung der Ausgaben oder der Verschuldung.

In Deutschland greift die „Starving the beast“-Hypothese

Die wesentlichen Ergebnisse unserer Analyse sind in Abbildung 1 grafisch dargestellt. Die in der Abbildung abgetragenen Werte zeigen die Koeffizientenschätzer einer Regressionsgleichung und verdeutlichen damit Richtung und Stärke des Effekts einer Änderung der Steuereinnahmen um einen Euro auf die Staatsausgaben. Abgetragen sind die Effekte im Jahr der Einnahmeänderung t sowie in den drei darauffolgenden Jahren. Anders als Romer and Romer (2009) stützen unsere Resultate die „Starving the beast“-Hypothese. Eine exogene Veränderung der Steuereinnahmen führt in Summe zu einer Veränderung der Staatsausgaben um ungefähr den gleichen Betrag. Sprich: Steigen (sinken) die Steuereinnahmen um einen Euro, so steigen (sinken) die Staatsausgaben langfristig ebenfalls um etwa einen Euro. Diese Anpassung erfolgt jedoch mit einer Zeitverzögerung, wobei weitere Analysen zeigen, dass das Ausmaß der Verzögerung von der Richtung der Einnahmenänderung abhängt. Im Falle steigender Steuereinnahmen vergehen rund zwei bis drei Jahre, bis die Staatsausgaben nachziehen. Wenn die Steuereinnahmen allerdings sinken, so erfolgt die Kürzung der Staatsausgaben bereits im Folgejahr.

Es erscheint naheliegend zu erwarten, dass Umfang und Geschwindigkeit der Anpassung von der politischen und fiskalischen Lage des jeweiligen Bundeslandes abhängen. Beispielsweise könnte man vermuten, dass hoch verschuldete Regierungen auf Änderungen der Steuereinnahmen stärker und schneller reagieren als Länder gering verschuldete Länder. Koalitionsregierungen könnten anders reagieren als Einparteienregierungen, linke anders als rechte. Unsere empirische Analyse bestätigt diese Hypothesen jedoch nicht. Weder das Verschuldungsniveau noch die Zusammensetzung der Regierung hat einen signifikanten Einfluss auf die Reaktion.

Kürzungen bei sozialer Absicherung, Verwaltung und öffentlichen Investitionen

Wir untersuchen außerdem, wie die Anpassung sich auf unterschiedliche Arten von Ausgaben verteilt. Häufig wird behauptet, Einnahmenveränderungen würden sich in erster Linie in veränderten öffentlichen Investitionen niederschlagen, während andere Ausgabengruppen unbeeinflusst bleiben. Auch diese Erwartung wird durch unsere empirische Analyse nicht bestätigt. Ein Rückgang der Einnahmen um einen Euro verursacht einen Rückgang der Ausgaben für Verwaltung um 30 ? 45 Cent sowie, mit etwas größerer Verzögerung, einen Rückgang der Ausgaben für soziale Sicherung um ebenfalls 30 — 45 Cent. Ausgaben für öffentliche Infrastruktur sinken um 10 Cent. Allerdings beträgt der Anteil der Infrastrukturausgaben an den Gesamtausgaben der Bundesländer im Durchschnitt nur 2,5 Prozent. Wenn 10 Prozent einer Einnahmenveränderung auf die Infrastruktur durchschlagen, bedeutet das durchaus, dass die Wirkung auf diesen Ausgabentyp überproportional ist. Der Effekt auf die Infrastrukturausgaben stellt sich mit Verzögerungen von einigen Jahren ein. Das ist nicht überraschend, da vor allem öffentliche Bauprojekte lange Planungszeiten haben. Wir finden keine signifikanten Auswirkungen auf Ausgaben für Bildung, Justiz, öffentliche Sicherheit oder Kultur.

Ergebnisse nur beschränkt auf andere Länder übertragbar

Was bedeuten diese Resultate für die „Starving the Beast“-Hypothese? Für den Fall der deutschen Bundesländer unterstützen unsere Resultate die These, dass Steuersenkungen ein wirksames Mittel darstellen, öffentliche Ausgaben einzuschränken. Die Befürchtung, dass durch Einnahmensenkungen verursachter finanzieller Druck vorrangig auf Kosten der Infrastrukturausgaben geht, bestätigt sich nicht. Allerdings sind diese Ausgaben durchaus überproportional betroffen.

Kann man davon ausgehen, dass diese Resultate auch auf andere Regierungsebenen und andere Länder übertragbar sind? Diese Schlussfolgerung ist nicht zwingend. Wie eingangs erwähnt haben die deutschen Bundesländer nur sehr eingeschränkte Steuerautonomie. Gebietskörperschaften mit größerer Steuerautonomie könnten auf Steuereinnahmenänderungen insofern eher durch Schuldenaufnahme und weniger durch Ausgabenanpassungen reagieren, weil sie wissen, dass eine künftige Steueranpassung, wenn sie nötig wird, eher möglich ist.

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