Gastbeitrag

Freiheit für Konsumenten

Clemens Fuest

Wirtschaftswachstum ist letztlich das Ergebnis individueller Entscheidungen von Menschen mit unterschiedlichen Wünschen und Bedürfnissen. Das ist auch gut so, erklärt ifo-Präsident Clemens Fuest.


Quelle:
Die Zeit

Es gehört zu Wirtschaftskrisen, dass über fallende Produktion und Beschäftigung geklagt und gefordert wird, die Wirtschaft möge schnell wieder wachsen. Aber ist es wirklich so schlimm, wenn das Wachstum aufhört? Der wirtschaftliche Einbruch während des Shutdowns hat zwar viele Menschen unter Stress gesetzt. Für andere war die Unterbrechung aber eine willkommene Atempause. Auch sank die Belastung der Umwelt durch Abgase und Lärm spürbar.

Könnte weniger oder kein Wachstum also ein Modell sein für die Zukunft?

Wachstumskritiker argumentieren schon seit Langem, natürliche Ressourcen seien endlich und eine expandierende Wirtschaft nicht ohne Umweltzerstörung zu haben. Außerdem wäre das Leben gesünder und harmonischer, wären wir weniger darauf fixiert, immerzu zu leisten, zu produzieren, zu konsumieren.

Aus ökonomischer Sicht ist die Steigerung des Bruttosozialprodukts kein Selbstzweck. Die Wirtschaftsleistung wächst, wenn mehr investiert oder gearbeitet wird. Mehr zu investieren heißt aber gleichzeitig, momentan auf Konsum zu verzichten. Mehr zu arbeiten bedeutet, Freizeit zu beschneiden. Es wäre also – von dieser Warte aus gesehen – ineffizient, Menschen dazu zu bewegen, mehr zu investieren oder länger zu arbeiten, als sie wollen. Ist ein Winter besonders kalt und wird mehr Heizöl verbrannt, steigt das Bruttosozialprodukt – das heißt aber nicht, dass damit der Wohlstand steigt. Wenn durch Ressourcenverbrauch Kosten entstehen, die den Verursachern nicht zugerechnet werden, beispielsweise Luftverschmutzung oder die Erwärmung des Klimas, dann ist die Wirtschaftsleistung sogar ineffizient hoch.

Allerdings beruht dauerhaftes Wachstum nicht darauf, dass Menschen immer mehr arbeiten oder Kapital akkumulieren. Tatsächlich sinkt die Arbeitszeit mit steigendem Wohlstand. Reife Industriestaaten investieren einen kleineren Anteil ihres Einkommens als Schwellenländer. Wachstum hängt auch nicht davon ab, dass natürliche Ressourcen zunehmend ausgebeutet oder die Umwelt noch mehr belastet wird. Wenn Länder sich wirtschaftlich entwickeln, steigt die Umweltbelastung üblicherweise zunächst, sie sinkt aber wieder, wenn ein gewisses Wohlstandsniveau überschritten ist. Dauerhaftes Wirtschaftswachstum entsteht vor allem, indem neues Wissen geschaffen und genutzt wird. Technischer Fortschritt, Ausbildung und perfektionierte Formen der Organisation des Wirtschaftens ermöglichen es, Ressourcen effizienter einzusetzen. Klimaschutz durch CO₂-neutrale Wirtschaft wird erst durch Innovationen möglich.

Was geschähe, wenn nach Corona viele Menschen beschlössen, weniger zu konsumieren und zu arbeiten, sodass trotz technischen Fortschritts das Wachstum aufhörte? Im Prinzip ist ein marktwirtschaftliches System in der Lage, sich an derlei Änderungen individueller Wünsche schnell anzupassen. Folgen ergäben sich allerdings nicht nur für jene, die freiwillig weniger arbeiteten: Da in einem solchen Fall mit sinkenden Erwerbseinkommen weniger Steuern und Sozialabgaben anfallen, hat der Staat auch weniger zu verteilen. Die Empfänger staatlicher Leistungen müssen den Gürtel also enger schnallen – und das nicht freiwillig. Weniger Wachstum bedeutet auch: schlechtere medizinische Versorgung, weniger öffentliche Leistungen, Ausdünnung der Infrastruktur, weniger geförderte Kultur, Wissenschaft und Bildung.

Ist zu erwarten, dass es dazu kommt? In Krisen wird viel darüber geredet, dass künftig alles anders sein könnte. Tatsächlich aber kehren die meisten rasch zu ihren alten Gewohnheiten zurück. Dass einige unter uns mehr arbeiten und konsumieren, als es anderen sinnvoll erscheint, gehört zu einer freien Gesellschaft. Wirtschaftswachstum ist letztlich das Ergebnis individueller Entscheidungen von Menschen mit unterschiedlichen Wünschen und Bedürfnissen. Das ist auch gut so.

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Prof. Dr. Dr. h.c. Clemens Fuest

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