Gastbeitrag

Schnelleres Wirtschaftswachstum durch starke Fiskalregeln

Prof. Dr. Niklas Potrafke und Prof. Dr. Martin Werding

In dieser Woche wird im Bundestag über den Haushalt 2021 beraten, der historische Ausmaße haben wird. Für das nächste Jahr ist eine Neuverschuldung von rund 180 Milliarden Euro vorgesehen - der zweithöchste Wert seit Gründung der Bundesrepublik.


Quelle:
Frankfurter Allgemeine Zeitung (Print Edition)

Schon 2020 hat der Staat mit einem Rekorddefizit auf die Corona-Krise reagiert. In einer so außergewöhnlichen Situation wie derzeit ist beherzte, expansive Fiskalpolitik richtig. Zu fragen ist aber, ob es die Politik mit einigen Maßnahmen nicht bereits zu gut meint. Abwarten muss man beispielsweise, ob die temporäre Absenkung der Mehrwertsteuer zum Jahresende noch Wirkung zeigt. Über die Erhöhung und die schon jetzt erfolgte Verlängerung des Kurzarbeitergeldes bis Ende 2021 lässt sich streiten. Auch den Gastwirten wird mit der Übernahme von 75 Prozent der Umsätze aus dem Vorjahr großzügig geholfen. In jedem Fall sollte Deutschland den finanzpolitischen Krisenmodus nun so schnell wie möglich hinter sich lassen.

Die Politik muss sorgfältig abwägen, welche Maßnahmen heute nötig sind, um die wirtschaftliche Entwicklung zu stabilisieren und auch für die Zukunft zu sichern. Wie eine solche vorausschauende Politik am besten geht, ist umstritten. Einerseits kann man argumentieren, dass der Staat nichts unversucht lassen sollte, um den Konjunkturmotor so gut wie möglich am Laufen zu halten. Es stimmt: Wenn die Politik jetzt eine Fiskalpolitik betreibt, die die Lage noch verschlimmert, ist niemandem geholfen. Andererseits erliegt die Politik gern der Versuchung, Maßnahmen zu beschließen, die nach tatkräftigem Handeln aussehen, aber nicht zielgenau sind oder über das richtige Maß hinausschießen. Alles, was den Staatshaushalt gegenwärtig belastet, muss schließlich in der Zukunft zusätzlich erarbeitet und finanziert werden.

Schon vor der Corona-Krise waren die deutschen Staatsfinanzen nicht tragfähig -- das zeigen die Berechnungen, die wir für den letzten Tragfähigkeitsbericht des Bundesfinanzministeriums erstellt haben. Als das Bundeskabinett den Bericht im März verabschiedet und die Krise Deutschland schon erreicht hatte, hat dies niemanden interessiert. Tragfähigkeit der Staatsfinanzen bedeutet, dass gegenwärtige Schulden und zukünftige Ausgaben langfristig durch zukünftige Einnahmen gedeckt werden können. Um dies zu gewährleisten, hätte der Staat im Ganzen seinen Finanzierungssaldo - je nach Szenario - ab sofort und dauerhaft um 1,5 bis 4,1 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) verbessern müssen. Derzeit entspricht das einem Konsolidierungsbedarf von rund 52 bis 143 Milliarden Euro pro Jahr. Bemerkenswert ist, dass sich diese Tragfähigkeitslücke im Vergleich zum vorherigen Tragfähigkeitsbericht aus dem Jahr 2016 sogar noch vergrößert hat, trotz anhaltend guter Wirtschaftsentwicklung und noch ohne Berücksichtigung der jetzigen Krise.

Angesichts der niedrigen Zinsen seien Staatsschulden doch kein Problem, hört man oft. Niedrige Zinsen müssten doch auch die Tragfähigkeitslücke verkleinern. Das tun sie aber nicht. Die Tragfähigkeitslücke reagiert kaum auf sinkende Zinsen, weil diese zwar den aktuellen Schuldendienst verringern, es zugleich aber erschweren, durch frühzeitige Konsolidierungen Handlungsspielräume für die Zukunft zu gewinnen. Ansonsten entstehen abermals stark steigende Defizite, wenn weitere aktuelle Herausforderungen für die Finanzpolitik binnen weniger Jahre zu steigenden Ausgaben führen.

Ein erster Schritt zu tragfähigen Staatsfinanzen sind ausgeglichene Haushalte. Fiskalregeln wie die deutsche Schuldenbremse tragen dazu bei und stellen die künftige Handlungsfähigkeit des Staates sicher. Zugleich sorgen sie bei privaten Haushalten und Unternehmen für Vertrauen: In Ländern, die Fiskalregeln in ihrer Verfassung verankert haben, ist die Wirtschaft tendenziell schneller gewachsen als in Ländern ohne solche Regeln. Private Haushalte und Unternehmen wissen, dass auf steigende Schulden oft Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen in der Zukunft folgen. Fiskalregeln helfen, die Schuldenstandsquote - also das Verhältnis der Staatsschulden zum BIP - zu reduzieren, indem sie den Zähler verringern und das Wachstum des Nenners beschleunigen.

Zukünftige Herausforderungen, die die langfristige Tragfähigkeit der deutschen Staatsfinanzen gefährden, sind klar absehbar: Investitionen zur Abwendung des Klimawandels und zur Beschleunigung der Digitalisierung sowie nicht zuletzt steigende Sozialausgaben aufgrund der ausgeprägten demographischen Alterung, die mittlerweile unmittelbar bevorsteht. Für all dies müssen - jenseits des aktuellen Krisenmodus - ab sofort Handlungsspielräume erarbeitet, Prioritäten gesetzt und die Öffentlichkeit für das Notwendige und das Machbare sensibilisiert werden.

Niklas Potrafke lehrt an der LMU München und leitet das ifo-Zentrum für öffentliche Finanzen und politische Ökonomie.

Martin Werding lehrt an der Ruhr-Universität Bochum und leitete 2019/20 die Kommission zur Zukunft der Sozialversicherung der BDA.