Gastbeitrag

Globalisierung auf den Prüfstand

Lisandra Flach

Die Zukunft der Handelspolitik braucht Mut und Pragmatismus.

 


Quelle:
Süddeutsche Zeitung

Es war ein turbulentes Jahr für die Handelspolitik. Der Brexit, die US-Wahlen, die Krise der Welthandelsorganisation WTO, zunehmender Protektionismus und nicht zuletzt Covid-19 haben die Handelsströme durchgerüttelt. Die Skepsis in Bezug auf die Globalisierung und auf die internationale Arbeitsteilung ist insgesamt massiv gestiegen.

Die Zukunft bringt viele Fragezeichen. Wie geht es mit der Globalisierung nach Corona weiter? Sind wir zu anfällig für internationale Schocks? Wäre einen Rückzug aus der Globalisierung eine Alternative? Was bedeutet die Wahl von Joe Biden in den USA für Deutschland? Und was wird aus den Handelsbeziehungen mit China? Fünf Thesen zur Handelspolitik.

Erstens: Ein Rückzug aus der Globalisierung macht uns nicht krisenfester; die Streuung von Risiken bringt mehr Resilienz.

Seit der Corona-Krise fordern viele, die Produktion nach Deutschland zurück zu verlagern, um mehr Sicherheit in der Lieferkette zu schaffen.

Allerdings ist das keine Lösung für die aktuelle Krise. Erstens würde eine Rückverlagerung der Produktion den Wohlstand deutlich reduzieren, weil dies die Produktionskosten in die Höhe treiben würde. Zweitens würde uns die Renationalisierung nicht gegen Schocks wappnen - unter Umständen wären wir sogar anfälliger dafür. Wir sollten nicht vergessen, dass es auch in Deutschland und den Nachbarländern zu Lieferausfällen kam. Produktionsausfälle konnten teilweise durch Importe ersetzt werden, da die Lockdowns global zu unterschiedlichen Zeitpunkten einsetzten.

Die Produktion zurückzuverlagern, wäre das Gegenteil von dem, was wir in Deutschland brauchen. Wir sollten stattdessen das Risiko möglichst breit streuen, indem wir unsere Lieferketten klug über verschiedene Länder aufspannen. Damit steigt letztlich die Stabilität der Versorgung mit wichtigen Handelsgütern.

Zweitens: Der Dienstleistungshandel bekommt einen Schub.

Die Corona-Krise wird in erster Linie die Digitalisierung enorm beschleunigen. Ein Beispiel ist das Home-Office: Technologisch war es längst möglich, nun haben sich auch organisatorische Vorbehalte weitestgehend aufgelöst. Viele Firmen stellten fest, dass ein Teil der Beschäftigten sehr gut von zu Hause aus arbeiten kann.

Daher ist zu erwarten, dass die Globalisierung des Dienstleistungshandels nach Corona gewaltig voranschreitet - selbst wenn der Güterhandel stagniert. Neue Formen wie Remote-Unterricht, digitale Sprechstunden bei Ärzten sowie Softwareentwicklung boomen. Da man von überall mobil arbeiten kann, konkretisiert sich eine neue Form der Arbeit, die es möglich macht, in einem Land zu wohnen und in virtuellen Büros eines anderen zu arbeiten. Das könnte einen tiefgreifenden Wandel der Arbeitswelt mit sich bringen - und sehr große, potenziell weltweit erreichbare Absatzmärkte für die Exporteure von digitalen Diensten schaffen.

Drittens: Biden ist Hoffnungsträger für die Beziehung zwischen EU und USA, aber die Handelspolitik bleibt schwierig.

Die Wahl von Joe Biden gibt Anlass zur Hoffnung für die Zukunft der multilateralen Beziehungen und für eine engere Kooperation mit den USA. Dadurch wird die Handelspolitik berechenbarer. Biden will keine einseitigen Zollkriege mit China führen, wie es in den letzten vier Jahren unter Donald Trump der Fall war. Er hat mehrmals betont, die Transatlantische Partnerschaft wiederbeleben zu wollen. Für die EU bedeutet das Ergebnis der US-Wahlen auch eine einmalige Gelegenheit, die Beziehungen mit den USA neu auszurichten, da Joe Biden eine tiefere Integration mit Europa vorantreiben will.

Allerdings werden auch unter dem neuen US-Präsidenten die Handelbeziehungen mit den USA schwierig bleiben. Biden hat eine hoch protektionistische Agenda. "Zu lange hat das Welthandelssystem seine Versprechen an die amerikanischen Arbeiter nicht eingehalten", lautet einen Satz aus dem Wahlprogramm der Demokraten. Die Ziele der Handelspolitik werden mit denen der Binnenmarktpolitik Bidens in Konkurrenz treten. So könnte beispielsweise die Buy-America-Kampagne, die bereits unter Barack Obama existierte, zu Handelskonflikten mit der EU führen.

Viertens: Für die Beziehungen zwischen USA, China und der EU braucht es einen neuen Konsens.

Die USA, China und die EU müssen einen politischen Konsens darüber aufbauen, wie sie die globale Wirtschaft voranbringen wollen - in einer für alle funktionierenden Weise. Seit Jahren kritisieren die USA zu Recht Marktzugangsbeschränkungen und den mangelnden Schutz geistigen Eigentums in China. Die US-Demokraten bemühen sich, das Bild einer zukünftig durch die USA geeinten internationalen Front für Verhandlungen mit China zu zeichnen. Dennoch drohen sie mit Strafen, wenn China oder andere Staaten "unfaire" Handelspraktiken anwenden. Deutschland und die EU sollten die berechtigten Kritikpunkte der USA an chinesischen Handelspraktiken ernst nehmen. Diese sind auch im europäischen Interesse.

Fünftens: China schließt das größte Handelsabkommen der Welt - in Asien entwickeln sich neue Machtverhältnisse.

China hat sich mit 14 asiatisch-pazifischen Ländern auf das größte Handelsabkommen der Welt verständigt. Das Abkommen umfasst Länder mit circa 30 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung. Auch wenn das Abkommen nicht so tiefgreifend ist, setzt Asien damit die USA und die EU unter Druck. Dies sollte ein Weckruf für die westlichen Länder sein. Denn die EU und USA kommen mit ihrer Handelspolitik nicht voran, Europa kämpft immer noch mit dem Brexit und ist nicht in der Lage, weitere Handelsabkommen wie das mit Kanada (CETA) oder das mit den Mercosur-Staaten in Südamerika zu ratifizieren. China hingegen demonstriert, dass es ein Abkommen durchverhandeln und beitreten kann.

Die EU sollte geeint sein, um die Regeln und Normen internationaler Institutionen zu unterstützen und zu fördern. Auch mehr Pragmatismus und weniger Rosinenpickerei ist das, was die EU bei den Verhandlungen von Abkommen braucht. Mahnende Beispiele sind die langwierigen Brexit-Verhandlungen und das Mercosur-Abkommen, das 20 Jahre lang ausgehandelt wurde und immer noch auf seine Ratifizierung wartet. Wir müssen pragmatischer vorgehen, um in bilateralen und multilateralen Verhandlungen voranzukommen. Ansonsten bleibt der EU nur die Alternative, Normen und Standards für die internationalen Beziehungen zu übernehmen, die von anderen Ländern gesetzt werden.