Gastbeitrag

Mit Hilfskrediten macht man sich keine Freunde

Niklas Potrafke, Laura Arnemann, Kai Konrad

Denkfabrik Internationale Hilfskredite fördern die Solidarität zwischen den Nationen. Heißt es. Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall.


Quelle:
Wirtschaftswoche

Geht es um Europa, appellieren Politiker gern an die Solidarität der Völker. Vor allem in Krisensituationen. In der Coronakrise haben die Regierungen beschlossen, in Not geratene Länder mit einem Hilfsfonds zu unterstützen, finanziert durch öffentliche Kredite auf der Ebene der Europäischen Union. Als Geste der Solidarität kommuniziert, hat der Fonds jedoch das Potenzial, die Nationen zu entzweien. Denn er stellt die EU-Finanzverfassung auf den Kopf. Viele Beobachter sehen in dem Hilfsfonds einen weiteren Schritt zur gemeinschaftlichen Haftung zwischen den EU-Staaten. Dänemark, die Niederlande, Österreich und Schweden sträubten sich daher zunächst gegen das Projekt. Kritiker warfen ihnen vor, geizig zu sein. In der Öffentlichkeit wurden die vier Länder als "the frugal four" bezeichnet - je nach Lesart die sparsamen, genügsamen oder geizigen Vier. Sie stimmten erst angesichts großzügiger finanzieller Zugeständnisse dem Projekt zu.

Ein altes Sprichwort besagt, beim Geld höre die Freundschaft auf, und griechische Philosophen sollen schon vor mehr als 2500 Jahren gewusst haben: Bürgschaft provoziert Unheil. Es lohnt deshalb ein Blick in die wissenschaftliche Literatur zur Frage, ob Hilfskredite unter Freunden der Solidarität und Freundschaft förderlich sind - oder nicht.

Aus der ökonomisch-psychologischen Forschung ist bekannt, dass Kredite zwischen Freunden und Verwandten rückblickend unterschiedlich wahrgenommen werden. Die Kreditgeber sind in ihrer eigenen Erinnerung gern barmherzige Gönner, deren Hilfsbereitschaft von den Kreditnehmern strapaziert wird. Kreditnehmer hingegen sehen sich eher als Schuldner mit einwandfreier Zahlungsmoral, denen der Kredit zwar nützlich war, aber auch eher aufgedrängt wurde. Und mit den Erinnerungen fallen auch die Sichtweisen auseinander. Enttäuschungen und Konflikte sind programmiert.

Aber gilt Ähnliches auch für Staaten und Nationen? In einer Studie haben wir untersucht, wie die Euro-Rettung vor rund zehn Jahren in Geber- und Nehmerländern in Erinnerung geblieben ist. Das Arbeitspapier (Collective Memories on the 2010 European Debt Crisis) ist online verfügbar.

Zur Erinnerung: Seinerzeit haben Irland, Griechenland, Portugal, Spanien und Zypern (Nehmerländer) von den anderen Mitgliedstaaten der EU (Geberländer) Kredite und Bürgschaften erhalten und sich im Gegenzug zu wirtschaftspolitischen Reformen verpflichtet.

Für unsere Studie haben wir im Herbst 2018 Wirtschaftsexperten gefragt, wie sie sich an die Euro-Rettung erinnern. Der Datensatz umfasst Antworten von 517 Befragten, davon mehr als 90 aus den fünf Programmländern.

Die gleichen Fragen haben wir dann im August 2019 Bürgern aus der gesamten EU gestellt. Wir können auf Antworten von 1702 Nichtexperten zurückgreifen (498 aus Programmländern). Wesentliches Ergebnis unserer Studie ist, dass die Bürger aus Geber- und Nehmerländern die Umstände der Kreditbeziehungen unterschiedlich erinnern. Das betrifft etwa die Frage, wer diese Hilfen eigentlich wollte und wem vor allem sie genutzt haben. Die überwiegende Mehrheit der Befragten glaubt nicht, dass die Rettungsmaßnahmen den Zusammenhalt zwischen den Nationen in Europa gestärkt haben.

Lehren für die Coronakrise

Bürger aus Programmländern haben beispielsweise mit einer um rund 13 Prozentpunkte geringeren Wahrscheinlichkeit als Bürger aus Geberländern gesagt, dass die Geberländer vor allem den Programmländern helfen wollten. Mit einer um 28 Prozentpunkte höheren Wahrscheinlichkeit meinten Bürger aus Programmländern, dass die Geberländer am meisten von den Kreditprogrammen profitierten.

Weniger stark klaffen die Ergebnisse der Befragung der Wirtschaftsexperten auseinander. Das spricht dafür, dass die Experten besser über die Hintergründe der Hilfsprogramme informiert sind und die Euro-Krise differenzierter bewerten.

Insgesamt weckt unsere Studie Zweifel daran, dass Kreditbeziehungen Freundschaften zwischen den Ländern stärken. Wir wissen zwar nicht, was ohne diese Rettungsmaßnahmen geschehen wäre. Auch bleibt unklar, ob nicht rückzahlbare Zuschüsse das Verhältnis zwischen den Völkern günstiger beeinflusst hätten. Es mag sehr wohl Situationen geben, in denen Kredite zwischen Nationen - explizit als einmalige Angelegenheit deklariert - nützlich sind. Dass solche Kredite ein kräftiges Band der Solidarität schmieden, erscheint angesichts unserer Ergebnisse jedoch zweifelhaft.

Und das sollte uns auch eine Lehre für die Politik in der Coronakrise sein.

Niklas Potrafke leitet das Zentrum für öffentliche Finanzen am Münchner ifo Institut und ist Professor an der Ludwig- Maximilians-Universität München.

Laura Arnemann ist Doktorandin an der Universität Mannheim. Sie forscht im Bereich der empirischen Finanzwissenschaft.

Kai Konrad ist Direktor am Max-Planck-Institut für Steuerrecht und öffentliche Finanzen sowie Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des BMF.

 

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Prof. Dr. Niklas Potrafke

Prof. Dr. Niklas Potrafke

Leiter des ifo Zentrums für öffentliche Finanzen und politische Ökonomie
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Harald Schultz

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