Gastbeitrag

Der Wahlzyklus in der Steuerpolitik

Clemens Fuest, Klaus Gründler, Niklas Potrafke, Fabian Ruthardt stellen in einer Untersuchung heraus, dass Politiker die Steuern häufiger direkt nach Wahlen als in anderen Jahren erhöhen. Das zeigen Daten aus 22 Ländern über fünf Jahrzehnte.


Quelle:
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Die neue Bundesregierung hat viel vor. Insbesondere wollen die Ampelparteien die öffentlichen Investitionen in Klimaschutz, Digitalisierung, Infrastruktur sowie Bildung und Forschung deutlich steigern. Aber wie wird das finanziert? Vor allem die FDP hat im Wahlkampf versprochen, dass es keine Steuererhöhungen geben soll. Folgt man dem Koalitionsvertrag, dann soll dieses Versprechen auch gehalten werden. Allerdings steht dort auch, dass die Schuldenbremse eingehalten werden soll. Nun verfügen die Ampelparteien ohnehin nicht über eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag, sie können die Schuldenbremse also gar nicht abschaffen oder verändern. Ein gewisses Maß an Kreditfinanzierung soll über Nebenhaushalte erfolgen. Außerdem ist geplant, dass bestehende Ausgaben umgeschichtet oder gekürzt werden. Aber ob das reicht, um die geplanten Ausgaben zu finanzieren, ist unklar.

Können die Steuerzahler sich wirklich darauf verlassen, dass sie nicht doch noch herangezogen werden? Der Koalitionsvertrag sieht keine Steuererhöhungen vor, aber die Geschichte zeigt, dass steuerpolitische Versprechen nicht immer gehalten werden. Das bekannteste Beispiel bietet George Bush, der im US-Präsidentschaftswahlkampf 1988 noch verkündete: "Read my lips: no new taxes." Er gewann die Wahl - und ein Jahr nach Amtseinführung erhöhte er verschiedene Steuern. In einer neuen Studie haben wir untersucht, wie Wahlen und die Steuerpolitik zusammenhängen ("Read my lips? Taxes and elections", CESifo Working Paper No. 9401). Das zentrale Ergebnis: Steuererhöhungen kommen häufiger in Jahren direkt nach Wahlen vor als in anderen Jahren.

Wie die Zeitpunkte von Wahlen Wirtschaftspolitik beeinflussen, wird in der politökonomischen Forschung seit Jahrzehnten untersucht. Auch die Steuerpolitik wurde schon untersucht. Doch haben sich frühere Studien zur Steuerpolitik auf die subnationale Ebene konzentriert. Beispielsweise hatten Nadine Riedel (Münster) und Dirk Foremny (Barcelona) gezeigt, dass in den deutschen Gemeinden die Gewerbesteuersätze vor Kommunalwahlen gesenkt und nach Kommunalwahlen kräftig erhöht wurden. Die wesentlichen steuerpolitischen Entscheidungen finden jedoch auf nationaler Ebene statt.

Für die nationale Ebene gab es bislang keine Arbeiten, die über Ländergrenzen hinweg untersucht haben, ob die Zeitpunkte von Wahlen Steuerpolitik beeinflussen. Das lag vor allem an der Verfügbarkeit von Daten zur Steuerpolitik im internationalen Vergleich. Die Steuersysteme sind schließlich komplex: Es gibt mehrere Steuerarten, die ihrerseits durch Steuersätze, Bemessungsgrundlagen und Ausnahmeregelungen umfassend gestaltet werden können. Zwischen einzelnen Ländern, auch innerhalb der recht homogenen Gruppe der Industrieländer, unterscheiden sich die Steuersysteme stark.

Erstellt haben wir einen neuen Steuerreformindex, der für 22 Länder (16 Industrie- und sechs Schwellenländer) im Zeitraum von 1962 bis 2014 die Steuerreformaktivität für die fünf wichtigsten Steuerarten (persönliche Einkommensteuer, Unternehmensteuer, Umsatzsteuer, Verbrauchsteuer und die Vermögensteuer) und die Sozialversicherungsbeiträge abbildet. Qualitative Informationen zu Steuerreformen haben wir aus der Tax Policy Reform Database (TPRD) des Internationalen Währungsfonds erhalten. Verwendet werden in dieser Datenbank über 900 Berichte der OECD und rund 37 000 Einzelbeobachtungen zur Steuerpolitik. Unterschieden wird zwischen jeweils großen und kleinen Reformen der Steuersätze und der Bemessungsgrundlagen, die entweder entlasten oder belasten. Wir verwenden diese Informationen um zwölf Subindikatoren zu erstellen, für jede der Steuerarten einen Subindikator für die Steuersätze und die Bemessungsgrundlagen.

Die Daten zeigen Trends in der Besteuerung seit den 1960er-Jahren auf. Beispielsweise sind die Steuersätze insgesamt seit Ende der 1970er- und in den 1980er-Jahren gestiegen, während sie in den 1990er- und 2000er-Jahren deutlich sanken. Unterschiede in der Besteuerung zeigen sich im Zeitverlauf zwischen einzelnen Ländern wie den Vereinigten Staaten und Japan.

Steuererhöhungen sind immer unangenehm. Politiker werden sich deshalb genau überlegen, wann sie Steuern erhöhen. Vor den Wahlen erscheint das riskant. Man kann Wähler verärgern und Stimmen verlieren. Strategisch erscheint es daher naheliegend, Steuererhöhungen auf die Zeit direkt nach Wahlen zu verschieben. Das setzt allerdings voraus, dass die Wähler die Steuererhöhungen bei der nächsten Wahl wieder vergessen haben.

Unsere Ergebnisse zeigen, dass Steuern tatsächlich häufiger direkt nach Wahlen erhöht werden als in anderen Jahren. Der Effekt ist quantitativ bedeutsam. Der Reformindex für Steuersätze war in den Jahren nach einer Wahl um 0,24 Standardabweichungen höher als in anderen Jahren der Legislaturperiode. Für Bemessungsgrundlagen finden wir keinen Wahlzyklus in der Reformaktivität. Diese Ergebnisse sind nicht durch einzelne Länder im Datensatz getrieben und gelten sowohl für wiedergewählte Amtsinhaber als auch für neu gewählte Regierungen. Erhöht wurden vor allem die Steuersätze der Umsatzsteuer und (in geringerem Maße) der persönlichen Einkommensteuer, zwei bei den Wählern besonders unbeliebte Steuerarten. Doch eignen sich beide Steuerarten eben ausgesprochen gut, die Steuereinnahmen zu erhöhen, denn ausweichen können die Wähler der Umsatzsteuer und der persönlichen Einkommensteuer kaum.

Anekdotische Evidenz aus Deutschland unterstreicht die Befunde unserer Studie. Vor der Bundestagswahl 2005 hatte die Union angekündigt, die Mehrwertsteuer um zwei Prozentpunkte erhöhen zu wollen. Die SPD hatte eine Erhöhung der Mehrwertsteuer ausgeschlossen ("Merkelsteuer, das wird teuer"). Nach der Wahl gab es eine große Koalition und der Kompromiss lag in einer Erhöhung der Mehrwertsteuer um drei Prozentpunkte von 16 auf 19 Prozent. Ob die neue Ampelregierung die Steuern wie vorgesehen wirklich nicht erhöht, bleibt abzuwarten.

Clemens Fuest ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der LMU München und Präsident des ifo Instituts.

Klaus Gründler lehrt an der LMU München und ist stellvertretender Leiter des ifo Zentrums für öffentliche Finanzen und politische Ökonomie.

Niklas Potrafke ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der LMU München und leitet das ifo Zentrum für öffentliche Finanzen und politische Ökonomie.

Fabian Ruthardt ist Doktorand an der LMU München und wissenschaftlicher Mitarbeiter am ifo Zentrum für öffentliche Finanzen und politische Ökonomie.