ifo Konjunkturprognose

ifo Konjunkturprognose Herbst 2021: Lieferengpässe in der Industrie bremsen gesamtwirtschaftliche Erholung

Die Konjunktur in Deutschland ist derzeit gespalten. Während sich die kontaktintensiven Dienstleistungsbereiche kräftig von der Coronakrise erholen, schrumpft die Wertschöpfung im Verarbeitenden Gewerbe infolge von Lieferengpässen bei wichtigen industriellen Vorprodukten. Das Bruttoinlandsprodukt dürfte in diesem Jahr um 2,5% zulegen und im kommenden Jahr um 5,1%.

Die deutsche Wirtschaft erholt sich zunehmend von der Coronakrise. Im zweiten Quartal legte die Wirtschaftsleistung in Deutschland kräftig um 1,6% zu und konnte damit einen Großteil des Konjunktureinbruchs zu Jahresbeginn wettmachen. Zur Erholung haben vor allem mehrere Dienstleistungsbereiche beigetragen, die von den allmählichen Corona-Öffnungen im Frühsommer profitierten und ihre Umsätze wieder steigern konnten.

Allerdings ist die Konjunktur in Deutschland derzeit gespalten. Im Verarbeitenden Gewerbe schrumpfte die Wertschöpfung im zweiten Quartal um 1,3%, nachdem sie bereits zu Jahresbeginn um 0,8% zurückgegangen ist. Obwohl die Auftragseingänge beinahe ununterbrochen gestiegen und die Auftragsbücher so voll wie selten zuvor sind, standen Lieferengpässe bei wichtigen industriellen Vorprodukten einer Ausweitung der Produktion im Wege. Diese Engpässe dürften eine unmittelbare Folge der Coronakrise sein. So kam es seit Ausbruch der Pandemie zu einer weltweiten Verschiebung des Konsums weg von Dienstleistungen und hin zu Waren und dort zu bestimmten Warengruppen, etwa langlebigen Konsumgütern, elektronischen Artikeln, sowie speziellen medizinischen Produkten. Dieser abrupte Anstieg der Nachfrage hat viele Hersteller der Vorprodukte, die für die Produktion dieser Waren notwendig sind, rasch an die Kapazitätsgrenzen gebracht. Zudem wurden die globalen Lieferketten als Folge der stark veränderten Warenströme vor enorme logistische Herausforderungen gestellt.

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ifo Pressekonferenz: ifo Konjunkturprognose Herbst 2021

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Diskussion ifo Pressekonferenz: ifo Konjunkturprognose Herbst 2021

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Begrüßung ifo Pressekonferenz: ifo Konjunkturprognose Herbst 2021

Für den weiteren Prognoseverlauf wird unterstellt, dass das Infektionsgeschehen soweit unter Kontrolle bleiben wird, dass weder erneute staatliche Einschränkungen erforderlich noch freiwillige Konsumzurückhaltung zu erwarten sind. Bis zum Jahresende werden verbleibende Beschränkungen sukzessive aufgehoben, so dass einer vollständigen konjunkturellen Erholung beim Handel und in den kontaktintensiven Dienstleistungsbereichen nichts im Wege stehen dürfte. Entsprechend wird allein durch die Normalisierung des Ausgabeverhaltens der private Konsum zunächst weiterhin die tragende Säule der konjunkturellen Erholung sein. Darüber hinausgehende Nachholeffekte werden in dieser Prognose nicht berücksichtigt. Zwar hat sich durch die seit März 2020 eingeschränkten Konsummöglichkeiten und die aus einem Vorsichtsmotiv herrührende Konsumzurückhaltung bei den privaten Haushalten eine beträchtliche Überschussersparnis aufgestaut. Allerdings wird in der vorliegenden Prognose unterstellt, dass die Konsumenten diese Ersparnis nicht verausgaben. Dahinter steckt die Überlegung, dass ein Großteil des entgangenen Konsums nur schwer nachholbare Dienstleistungen betrifft. Dazu zählen Frisör- und Gastronomiebesuche, aber auch Veranstaltungen aus dem Bereich Freizeit, Unterhaltung und Kultur. Hingegen dürfte der Nachholbedarf im Bereich des Warenkonsums eher begrenzt sein. So waren die Käufe von Waren im Durchschnitt der sechs Quartale seit Beginn der Coronakrise nicht eingebrochen und in etwa so hoch wie in den anderthalb Jahren zuvor. Dazu haben auch die Ausgaben für langlebige Konsumgüter, etwa Einrichtungs- und Haushaltsgeräte, beigetragen, die zum einen in der zweiten Jahreshälfte 2020 wegen der reduzierten Mehrwertsteuer deutlich zugelegt und zum anderen fehlende alternative Konsummöglichkeiten ersetzt haben.

„Derzeit schrumpft die Produktion der Industrie als Folge von Lieferengpässen bei wichtigen Vorprodukten. Gleichzeitig erholen sich die Dienstleister kräftig von der Coronakrise. Die Konjunktur ist gespalten.“

Prof. Dr. Timo Wollmershäuser, Stellvertretender Leiter des ifo Zentrums für Makroökonomik und Befragungen und Leiter Konjunkturprognosen

Im Verarbeitenden Gewerbe dürfte sich der Rückgang der Wertschöpfung im dritten Quartal fortsetzen und erst gegen Ende des Jahres stoppen. Zwar bewerten die Unternehmen ihre Auftrags- und Geschäftslage weiterhin überdurchschnittlich gut. Allerdings haben sich die Engpässe bei der Zulieferung von Rohstoffen und Vorprodukten zuletzt noch einmal verschärft. So ist in der jüngsten ifo Konjunkturumfrage vom August der Anteil der Unternehmen, deren Produktion aus diesem Grund behindert wird, noch einmal gestiegen auf nunmehr fast 70%. Auch die Lkw-Maut-Fahrleistung, die die aktuelle Entwicklung von Umsätzen und Produktion im Verarbeitenden Gewerbe gut abbildet, hat sich bis zuletzt abgeschwächt. Zwar kann derzeit noch nicht beurteilt werden, ob der Hochpunkt der Engpässe tatsächlich schon erreicht ist. Gleichwohl wird in der vorliegenden Prognose unterstellt, dass sie bis Jahresende an Bedeutung verlieren. Dahinter verbirgt sich die Annahme, dass sich die im Zuge der Coronakrise weltweit zu beobachtenden Verschiebungen in der Struktur der Nachfrage allmählich wieder umkehren dürften und damit eine der Ursachen der Lieferengpässe wegfällt. Im kommenden Jahr ist dann mit einer kräftigen Erholung in der Industrie zu rechnen, denn die bestehenden Aufträge müssen – sofern es nicht zu vermehrten Stornierungen kommt – abgearbeitet werden. Aber auch die weiterhin robuste Konjunktur in den wichtigen Absatzmärkten der deutschen Exportwirtschaft leistet dazu ihren Beitrag.

Alles in allem wird das Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr um 2,5% und im kommenden Jahr um 5,1% zulegen. Die hohe Zuwachsrate im Jahr 2022 ist maßgeblich auf das niedrige Niveau der Produktion an Waren und Dienstleistungen im Jahr 2021 zurückzuführen. Im Verlauf des Jahres 2022 nimmt die Dynamik der gesamtwirtschaftlichen Erholung ab. Im Vergleich zur ifo Konjunkturprognose Sommer 2021 wurde damit die Wachstumsrate für das Jahr 2021 um 0,8 Prozentpunkte gesenkt und für das Jahr 2022 um 0,8 Prozentpunkte angehoben. Die Verschiebung der konjunkturellen Dynamik von diesem ins nächste Jahr ist weitgehend den Produktionsschwierigkeiten im Verarbeitenden Gewerbe geschuldet. Im Jahr 2023 wird die deutsche Wirtschaft dann wieder mit normalen Raten expandieren.

Erholung auf dem Arbeitsmarkt setzt sich fort

Auch auf dem Arbeitsmarkt setzt sich die Erholung fort, nachdem die Coronakrise den langjährigen Aufschwung im vergangenen Jahr jäh unterbrochen hat. Als Folge der fortschreitenden Öffnungen in vielen Wirtschaftsbereichen dürften die Arbeitslosigkeit und die Kurzarbeit im Prognosezeitraum weiter rasch abgebaut werden. Während die Kurzarbeit im kommenden Jahr wieder auf ihr Vorkrisenniveau sinken wird, dürfte die Arbeitslosigkeit mit jahresdurchschnittlich 2,35 Mio. Personen noch darüberliegen. Erst im Jahr 2023 wird mit 2,27 Mio. Arbeitslosen das Niveau des Jahres 2019 erreicht werden. Hinter dieser langsameren Anpassung verbirgt sich die Annahme, dass die Coronakrise auch strukturelle Folgen hat und steigende Unternehmensinsolvenzen Arbeitskräfte freisetzen, die nur allmählich eine neue Anstellung in anderen Wirtschaftsbereichen finden werden. Allerdings dürften in den kommenden Jahren der demografische Wandel und die damit einhergehende Verschärfung der Arbeitskräfteknappheit, die sich den ifo Konjunkturumfragen zufolge bereits jetzt abzeichnet, zu einem weiteren Rückgang der Arbeitslosigkeit beitragen.

Eckdaten der Prognose für Deutschland

  2020 2021 2022 2023
Bruttoinlandsprodukt (Veränderung gegenüber Vorjahr in %)  -4,6 2,5 5,1 1,5
Erwerbstätige (1.000 Personen) 44.898 44.916 45.434 45.623
Arbeitslose (1.000 Personen) 2.695 2.621 2.352 2.270
Arbeitslosenquote (in % der zivilen Erwerbspersonen) 5,9 5,7 5,1 4,9
Verbraucherpreise (Veränderung gegenüber Vorjahr in %) 0,5 3,0 2,3 1,6
Finanzierungssaldo des Staates 2020 2021 2022 2023
 - in Mrd. EUR -145,2 -157,3 -52,1 -0,3
 - in % des Bruttoinlandsprodukts -4,3 -4,5 -1,4 0,0
Leistungsbilanzsaldo 2020 2021 2022 2023
 - in Mrd. EUR 233,9 217,7 219,7 233,5
 - in % des Bruttoinlandsprodukts 6,9 6,2 5,9 6,1

Quelle: Statistisches Bundesamt; Bundesagentur für Arbeit; Deutsche Bundesbank; 2021 bis 2023: Prognose des ifo Instituts.
© ifo Institut Sep. 2021

Hohe Preisdynamik nur vorübergehendes Phänomen

Die Inflationsrate dürfte bis Ende des Jahres noch weiter auf etwa 4,5% steigen. Erst im kommenden Jahr wird sie dann allmählich wieder sinken und sich der 2-Prozentmarke nähern. Dazu trägt vor allem bei, dass mit Beginn des Jahres 2022 die Basiseffekte ausklingen, da die Mehrwertsteuer ein Jahr zuvor wieder angehoben wurde und die Energiepreise im Prognosezeitraum annahmegemäß weitgehend unverändert bleiben. Die hohe Preisdynamik, die bei einigen Dienstleistungen in den vergangenen Monaten zu beobachten war, dürfte nur ein vorübergehendes Phänomen gewesen sein und sich mit der fortschreitenden Normalisierung der Konsummöglichkeiten wieder abschwächen. Eine Überwälzung der steigenden Preise für Rohstoffe und Vorprodukte von den Erzeugerpreisen auf die Verbraucherpreise wurde nicht unterstellt, da die Materialengpässe, die den Kostensteigerungen zugrunde liegen, in den kommenden Monaten abklingen. Preisdämpfend für die kommenden beiden Jahre wirken die verhaltenen Lohnabschlüsse, die im Einklang mit unverändert niedrigen mittelfristigen Inflationserwartungen eine Lohn-Preisspirale als wenig wahrscheinlich erscheinen lassen. Damit dürfte die Inflationsrate im Durchschnitt des Jahres 2021 bei 3,0% liegen, nach nur durchschnittlich 0,5% im Krisenjahr 2020. In den kommenden beiden Jahren verlangsamt sich der Preisaufstieg dann von jahresdurchschnittlich 2,3% auf 1,6%.

2023 ausgeglichener Staatshaushalt

Das gegenwärtige finanzpolitische Umfeld ist von umfangreichen staatlichen Maßnahmen geprägt, die die gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie eindämmen sollen. In der Folge wird der öffentliche Haushalt im laufenden Jahr abermals mit einem deutlichen Minus von knapp 160 Mrd. Euro abschließen. Im kommenden Jahr wird das Defizit dann vor allem als Folge der kräftigen Erholung auf gut 50 Mrd. Euro zurückgeführt. Im Jahr 2023 dürfte der Staatshaushalt dann erstmals wieder ausgeglichen sein. Diese Prognose der Staatseinahmen und -ausgaben wurde unter der Maßgabe getroffen, dass nur die derzeit beschlossen wirtschafts- und finanzpolitischen Maßnahmen umgesetzt werden. Natürlich kann sich in der nächsten Legislaturperiode vieles davon ändern, so dass die Prognose der Staatsfinanzen derzeit mit überdurchschnittlich hoher Unsicherheit behaftet ist.

Risiken: Infektions- und Impfverlauf und Lieferengpässe bei Vorprodukten

Die vorliegende Prognose ist mit einer Reihe von Risiken verbunden. Ein bedeutendes Abwärtsrisiko für die kommenden Monate ergibt sich aus dem unterstellten Infektions- und Impfverlauf. Sollte es entgegen der hier getroffenen Annahme im Herbst zu einem erneuten Shutdown kommen, dürfte die prognostizierte Erholung im Handel und in den kontaktintensiven Dienstleistungsbereichen in der zweiten Jahreshälfte 2021 zu optimistisch sein und sich in das Jahr 2022 hinein verschieben. Allerdings könnte sich der private Konsum auch schneller als in dieser Prognose skizziert erholen, wenn die während der Coronakrise angehäufte Überschussersparnis verausgabt und damit nachfragewirksam wird.

Abwärtsrisken bestehen zudem im Zusammenhang mit den unterstellten Auswirkungen der Engpässe bei der Lieferung von Vorprodukten. In der vorliegenden Konjunkturprognose wurde angenommen, dass sich die Engpässe bis zum Jahresende allmählich auflösen. Würden sie sich jedoch weiter zuspitzen und länger anhalten, wären die damit verbunden Produktionseinbußen größer und es bestünde die Gefahr, dass sich die konjunkturelle Erholung der deutschen Wirtschaft weiter verlangsamt.

Unsicherheit besteht schließlich auch im Hinblick auf die finanzpolitische Ausrichtung nach der Bundestagswahl. In der Diskussion der Parteien stehen unterschiedliche Reformen des Steuer- und Abgabesystems sowie klimapolitische Maßnahmen, die im Vergleich zu dem in dieser Prognose unterstellten Status quo sowohl zusätzliche Be- als auch Entlastungen der privaten Haushalte und Unternehmen mit sich bringen könnten. Auch könnte in Frage gestellt werden, ob der in dieser Prognose angenommene Konsolidierungskurs im kommenden Jahr tatsächlich eingeschlagen wird.

Kontakt
Prof. Dr. Timo Wollmershäuser, Stellvertretender Leiter des ifo Zentrums für Makroökonomik und Befragungen

Prof. Dr. Timo Wollmershäuser

Stellvertretender Leiter des ifo Zentrums für Makroökonomik und Befragungen und Leiter Konjunkturprognosen
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Dr. Robert Lehmann

Wissenschaftlicher Mitarbeiter
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