Projekt

Strukturanalyse und Perspektiven des Wirtschaftsstandorts Baden-Württemberg im nationalen und internationalen Vergleich

Auftraggeber: Baden-württembergisches Ministerium für Wirtschaft, Arbeit, Wohnungsbau.
Projektlaufzeit: Januar 2017 - Juli 2017
Bearbeitender Bereich:
Projektteam: Prof. Gabriel Felbermayr, Ph.D., Dr. Inga Heiland, Marina Steininger, Prof. Dr. Bernhard Boockmann (IAW)

Fragestellung und Ziele

Seit der Finanz- und Wirtschaftskrise haben Deutschland und dabei insbesondere Baden-Württemberg ihre Position als wirtschaftlich prosperierende und innovationsstarke Standorte in der Europäischen Union ausgebaut. Mit einem hohen Anteil des Verarbeitenden Gewerbes an der Wertschöpfung und einer ausgeprägten internationalen Orientierung hat die Wirtschaft in Baden-Württemberg im internationalen und Bundesländervergleich hohe Wachstumsraten erzielt. Viele Unternehmen in Baden-Württemberg setzten sich an die Spitze von Änderungen in der internationalen Arbeitsteilung und der technologischen Entwicklung. So konnten die Absatzmärkte ausgebaut und die Wertschöpfung und Beschäftigung am heimischen Standort erhöht werden. Doch lässt sich die Entwicklung nicht linear fortschreiben. Risiken bestehen derzeit weniger in kurzfristigen konjunkturellen Rückschlägen, wie sie im Nachgang der Finanz- und Wirtschaftskrise diskutiert wurden, sondern in mittelfristigen Verschiebungen im Bereich der Technologie und internationalen Arbeitsteilung. Durch neue Antriebstechniken im Fahrzeugbau, neue Mobilitätskonzepte, die verstärkte Bedeutung von industriellen Dienstleistungen in Bereichen wie dem Maschinenbau und die geänderten Bedingungen durch die Energiewende stehen die traditionellen Schwerpunkte der baden-württembergischen Wirtschaft vor neuen Herausforderungen. Zunehmende außenwirtschaftliche Risiken, hervorgerufen durch den bevorstehenden Austritt Großbritanniens aus der EU und eine mögliche Neuausrichtung der Handelspolitik der USA, könnten zusätzlichen Anpassungsbedarf begründen.

Die Studie stellt wirtschaftspolitisch relevantes Hintergrundwissen bereit und erklärt welche Entwicklungen die Wirtschaftspolitik in Baden-Württemberg im Blick haben sollte, wenn sie die Stärken der Wirtschaft sichern und den Anpassungsbedarf und mögliche Risiken für den Wirtschaftsstandort Baden-Württemberg frühzeitig erkennen möchte.

Methodische Vorgehensweise

Die Studie basiert auf mehereren methodischen Vorgehensweisen. Unter anderem wird das ifo Handelsmodell zur Berechnung wirtschaftspolitischer Veränderungen herangezogen. So soll vor dem Hintergrund kritischer Fragen wirtschaftspolitisch relevantes Hintergrundwissen bereitgestellt werden. Im ersten von drei Modulen wird die Wettbewerbsfähigkeit Baden-Württembergs mit Hilfe unterschiedlicher Indikatoren im zeitlichen Verlauf analysiert. Das zweite Modul stellt die außenwirtschaftlichen Risiken in den Vordergrund. Zudem stellt es mit der Frage der ausländischen Direktinvestitionen in Baden-Württemberg auf ein mögliches strukturelles Problem ab. Der dritte Themenkreis beschäftigt sich mit dem Einfluss disruptiver technologischer Änderungen. Zudem wird dem problematischen Befund einer nachlassenden Innovationsaktivität kleiner und mittlerer Unternehmen nachgegangen.

Datenquellen

EPA-PATSTAT, WIPO, EU-SILC, Eurostat, Genesis, OECD, WIOD, WITS, Midi, Ustan, Erhebung Frauenhofer ISI, Statistisches Bundesamt und Landesamt

Ergebnisse

Der Wohlstand in Baden-Württemberg entsteht zu einem höheren Anteil als in anderen Bundesländern oder Staaten im Verarbeitenden Gewerbe. Auch wenn die Beschäftigung dort längerfristig zurückgeht, wird diese Entwicklung im Hinblick auf die Wertschöpfung durch die steigende Produktivität mehr als kompensiert. Angesichts der intensiven Forschungstätigkeit im Verarbeitenden Gewerbe ist damit zu rechnen, dass die technisch bedingte Produktivität dort weiter zunimmt. Bei der Entwicklung der Produktivität bleibt der Dienstleistungsbereich weit hinter dem Verarbeitenden Gewerbe zurück. Zugleich entsteht neue Beschäftigung überwiegend im Dienstleistungsgewerbe. Innerhalb des Dienstleistungsbereiches gibt es Branchen mit Wertschöpfungswachstum, die jedoch nur geringen Beschäftigungszuwachs aufweisen (Informations- und Kommunikationsdienstleistungen), und Branchen mit hoher Beschäftigungsdynamik, aber nur geringem Wachstum der Wertschöpfung (unternehmensnahe Dienstleistungen). Dieses Phänomen erklärt sich dadurch, dass in den Bereichen mit Beschäftigungswachstum die neu hinzugekommenen Arbeitskräfte eine unterdurchschnittliche Produktivität haben. 
Infolge der steigenden Produktivität im Verarbeitenden Gewerbe bei relativ moderaten Lohnkostenanstiegen hat sich die preisliche Wettbewerbsfähigkeit der baden-württembergischen Wirtschaft in den letzten zehn Jahren deutlich erhöht.

Baden-Württemberg ist über den Warenhandel noch stärker international verflochten als die Bundesrepublik als Ganzes, und diese Verflechtung hat von 2006 bis 2016 – ungeachtet des enormen Einbruchs des Welthandels nach der Finanzkrise von 2007/08 – weiter zugenommen. Der Handel mit anderen europäischen Ländern hat etwas an Bedeutung verloren, gemessen in Relation zum Bruttoinlandsprodukt des Landes, während insbesondere die USA und China an Bedeutung gewonnen haben, und zwar im Vergleich mit der Bundesrepublik überproportional. Die Güterstruktur des baden-württembergischen Außenhandels zeigt ein deutliches Schwergewicht, wieder gemessen am Handel in Relation zum Inlandsprodukt, beim Fahrzeugbau wie auch beim Maschinenbau.

Angesichts dieses geänderten handelspolitischen Umfelds stellt sich die Frage, wie die im Außenhandel sehr offene Volkswirtschaft Baden-Württembergs durch die sich abzeichnende oder zumindest neu möglich erscheinende Wiedereinführung von Handelsbarrieren tarifärer und nicht-tarifärer Art betroffen sein wird. Ergebnisse von Simulationsmodellen zeigen, dass die Rückkehr zu verstärkter Importprotektion im Bereich des Warenhandels infolge der Neuausrichtung der US-Handelspolitik starke negative Effekte auf die Exporte in den klassischen Exportindustrien Baden-Württembergs (Elektroindustrie, Maschinen- und Fahrzeugbau) hätte. Umfasst die Importprotektion der USA auch den nicht-tarifären Bereich, so bewegen sich diese Exportrückgänge in diesem Bereich nominell betrachtet zwischen 7 und 8 %. Bei der Wertschöpfung wäre mit einem Rückgang vor allem in den erwähnten Bereichen Elektro, Maschinen und Fahrzeuge zu rechnen, und zwar nominell betrachtet in Größenordnungen von zwischen 3 und 4 %. Dem stehen positive Wertschöpfungseffekte im Bereich der Dienstleistungen gegenüber. Aus wirtschaftspolitischer Sicht bedeutsam ist hier also die kaum ohne Friktionen zu erwartende Reallokation von Produktionsfaktoren aus dem Bereich der handelbaren Güter in den Bereich der Dienstleistungen. Alle betrachteten Szenarien der US-Importprotektion bedeuten für Baden-Württemberg auch Wohlfahrtseinbußen in Gestalt von reduzierten Realeinkommen der Haushalte, und zwar zwischen 0,4 und 0,85 %. Diese Einbußen lassen sich zwar durch Vergeltungsmaßnahmen in Gestalt von Importprotektion Europas gegenüber US-Importen im Ausmaß etwas reduzieren, aber auch in diesem „Vergeltungsszenario“ kommt es für Deutschland bzw. Baden-Württemberg zu Realeinkommensverlusten. Es muss also darum gehen, die Rückkehr zu verstärkter Importprotektion in den USA von vornherein zu verhindern.

Auch für den Brexit wurden verschiedene Szenarien definiert und in ihren Auswirkungen auf Baden-Württemberg analysiert. Die Handels- und Wertschöpfungseffekte sind im Umfang deutlich geringer als für die US-Importprotektion, aber im Muster ähnlich. Baden-Württemberg und Deutschland würden in allen hier betrachteten Brexit-Szenarien Realeinkommensverluste erleiden, aber weil bei den Brexit-Szenarien die Terms-of-Trade Veränderungen für Großbritannien und Deutschland symmetrisch wirken, sind die Wohlfahrtsverluste hier sehr viel kleiner: Es kommt zu einer Verringerung des Realeinkommens um lediglich 0,04 bzw. 0,03 %.

Publikation

 Berger, Marius, Bernhard Boockmann, Gabriel Felbermayr, Charlotte Klempt, Andreas Koch, Wilhelm Kohler, Christian Lerch, Peter Neuhäusler, Christian Rammer, "Strukturanalyse und Perspektiven des Wirtschaftsstandortes Baden-Württemberg im nationalen und internationalen Vergleich", Abschlussbericht Strukturanalyse, 2017 (PDF)