Projekt

Wohlfahrtseffekte der Handelsliberalisierung und protektionistischer Maßnahmen

Auftraggeber: Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung
Projektlaufzeit: Juli 2017 – September 2017
Bearbeitender Bereich:
Projektteam: Prof. Dr. Gabriel J. Felbermayr, Jasmin Katrin Gröschl, Prof. Dr Benjamin Jung

Fragestellung und Ziele

Die Studie untersucht, in welchem Ausmaß die Handelsliberalisierung relativ zum technischen Fortschritt für den Zuwachs des Handels verantwortlich ist, welche Wohlfahrtseffekte durch den Globalisierungsprozess insgesamt entstanden sind und welche makroökonomischen Effekte durch die Einführung von Handelsbarrieren entstehen. Ziel ist es, die Auswirkungen verschiedener Integrationsschritte der Handelsliberalisierung auf die sektoralen Handelsströme zu schätzen und von anderen Treibern des Handelswachstums (autonomes Wachstum der Volkswirtschaften, technologisch bedingte Veränderungen der Handelskosten) kausal zu unterscheiden. Zudem werden die Wohlfahrtseffekte von Handelsliberalisierung quantifiziert. Im Fokus steht dabei keine bestimmte außenhandelspolitische Maßnahme, sondern die Gesamtheit der Bestrebungen, internationalen Handel zu erleichtern. Die Quantifizierung umfasst auch Effekte von handelspolitischen Maßnahmen, an denen Deutschland zwar nicht direkt beteiligt ist, die aber auf Deutschland indirekt als "Drittland" wirken, und alle anderen Vorgänge, die die Offenheit des Landes beeinflussen. Untersucht werden die Veränderungen im realen Einkommen und im realen Konsum, die sich durch einen hypothetischen Übergang von der beobachteten Situation im Jahr 2014 zum Zustand der Autarkie oder aber im Vergleich zum Jahr 1990 ergeben würden. Zudem fragen wir in einer kontrafaktischen Analyse der Handelspolitik, welche Wohlfahrtsveränderungen sich ergeben, wenn verschiedene Integrationsschritte nie abgeschlossen worden wären oder Deutschland von einem Abschluss bestimmter Abkommen ausgeschlossen geblieben wäre.

Methodische Vorgehensweise

Analyse der Auswirkungen von Handelspolitik und darin begründeter Integrationsschritte der Handelsliberalisierung auf sektorale Offenheit. Anhand des Gravitationsmodells werden die Auswirkungen der Globalisierungsschritte und deren Integrationsbemühungen untersucht. Für die Quantifizierung der Wohlfahrtseffekte von Handelsliberalisierung im Allgemeinen Gleichgewichtsmodell werden Modellvarianten unterstellt, die in die Klasse der neuen quantitativen Außenhandelsmodelle fallen. Dabei wird einerseits eine Modellvariante ohne Vorleistungsverflechtungen genutzt und andererseits ein Modell, in dem Sektoren in der Produktion Vorleistungen aus anderen Sektoren einsetzen. Dabei werden Modelle mit perfektem Wettbewerb, monopolistischem Wettbewerb (Krugman, 1980) und heterogenen Firmen (Melitz, 2003) unterschieden.

Datenquellen

World Input Output Database, Destatis, WTO, Weltbank, EU Kommission

Ergebnisse

Deutschland ist seit 1990 durch die Ostöffnung und die Beitritte von 16 neuen Mitgliedern in die EU, durch den Aufstieg Chinas und seinen Beitritt in die WTO im Jahr 2001, durch die Einführung des Euros 1999, der Schaffung der Schengenzone im selben Jahr und durch verschiedene Freihandelsabkommen der EU mit Drittstaaten deutlich offener geworden.

Die ökonometrische ex-post Evaluierung zeigt, dass die unterschiedlichen handelspolitischen Maßnahmen zu einer erheblichen Zunahme des Waren- und Dienstleis-tungshandels Deutschland geführt haben. So hat die EU Osterweiterung den Waren-handel Deutschlands mit den neuen Mitgliedern um 60,3% angeschoben und den Dienstleistungshandel um 54%; die Einführung des Euro hatte einen positiven Effekt auf den Güterhandel von 11,3%, nicht aber auf den Dienstleistungshandel; die Freihandelsabkommen haben den bilateralen Warenhandel Deutschlands insgesamt um 14,7% steigen lassen und den Dienstleistungshandel um 25,7%. Der Beitritt Chinas in die WTO ließ die Warenexporte Deutschlands nach China um 122,3% und die Exporte um 148,2% steigen, während im Dienstleistungshandel Zuwächse von 80,4% bzw. 89,1% zu verzeichnen waren.

Vergleicht man den beobachteten Status Quo aus 2014 mit einem hypothetischen Autarkiezustand mit Hilfe eines neuen quantitativen Handelsmodels, so ist das reale Prokopfeinkommen in Deutschland um 22% höher als in der Autarkie, und der reale Prokopfkonsum um 13%. Im Zeitablauf haben sich die realen Prokopfeinkommens-gewinne Deutschlands durch Teilnahme an der internationalen Arbeitsteilung von circa 13% des Prokopfeinkommens im Jahr 1990 auf 22% im Jahr 2014 erhöht. Wenn alle erfolgten Liberalisierungsschritte rückabgewickelt werden, würde die deutsche Wohlfahrt um circa 5,3% sinken; davon macht die EU Integration den Löwenanteil aus (circa 4,6%-Punkte); der Beitritt Chinas in die WTO ist für 0,8%-Punkte verantwortlich. Innerhalb des Bereiches der EU Integration sind die Beitritte von 16 neuen Mitgliedsstaaten seit 1990 am wichtigsten; doch auch die Errichtung der Eurozone und des Schengenraumes haben messbare positive Effekte gezeitigt, so dass ihre Annullierung zu einem Rückgang der deutschen Wohlfahrt von 0,4% bzw. 0,9% generieren würde. Gemäß unserer Berechnungen ist mindestens ein Viertel der seit 1990 entstandenen Handelsgewinne auf konkrete handelspolitische Maßnahmen zurückzuführen; der Rest entfällt auf technologische und infrastrukturelle Verringerungen der internationalen Handelskosten.  

Publikation

Working Paper
Gabriel Felbermayr, Jasmin Katrin Gröschl, Benjamin Jung
2017
Sachverständigenrat, Arbeitspapier 03/2017