Projekt

Verteilungswirkung finanzpolitischer Maßnahmen während der Corona-Pandemie

Auftraggeber: Bundesministerium der Finanzen
Projektlaufzeit: September 2020 – Dezember 2020
Bearbeitender Bereich:
Projektteam: Mosler, Martin / Blömer, Maximilian / Brandt, Przemyslaw / Peichl, Andreas

Fragestellung und Ziele des Projekts

Die Corona-Pandemie und die damit verbundenen gesundheitspolitischen Einschränkungen führten zu drastischen negativen konjunkturellen Auswirkungen. Damit verbunden sind Auswirkungen auf die verfügbaren Einkommen sowie finanzielle Mehrbelastungen der Haushalte. Um diesen negativen Effekten entgegenzuwirken, beschloss die Bundesregierung eine Vielzahl finanzpolitischer Stützungsmaßnahmen, die sowohl angebots- als auch nachfrageseitige Transmissionskanäle der Wirtschaft adressierten, und die einen Einkommensverlust auf Haushaltsseite abfedern sollen. Etwa beinhaltet das Konjunkturprogramm Steuersenkungen, staatliche Transfers und Subventionen, deren Relevanz sich für verschiedene Personen – etwa für Arbeitnehmer*innen oder Familien und Haushalte ohne Kinder – unterschied. Entsprechend ist zu erwarten, dass die Verteilungswirkung des Konjunkturprogramms nicht einheitlich ausfiel, sondern Personen in unterschiedlichem Maße von den Politikmaßnahmen betroffen waren. Die Maßnahmen der Corona-Soforthilfe sowie des Konjunkturprogramms und die damit verbundenen wirtschaftlichen Impulse dürften entsprechend asymmetrische Auswirkungen auf die Einkommens-und Konsumsituation der Haushalte gehabt haben.

Eine fundierte Quantifizierung von fiskalpolitischen Verteilungswirkungen ist – gerade vor dem Hintergrund der heterogenen Ausprägung der Instrumente – von besonderem Interesse für eine adäquate Ausrichtung und effektive Gestaltung der Finanzpolitik. Oftmals zielen die verabschiedeten Instrumente dezidiert auf bestimmte Personengruppen ab, jedoch kann die tatsächliche Wirksamkeit nur durch eine quantitative Analyse abgeschätzt werden. Vor dem Hintergrund der anhaltenden Krisensituation ist die Kenntnis von Verteilungswirkungen eine wichtige Voraussetzung für die richtige Ausgestaltung möglicher finanzpolitischer Maßnahmen in den kommenden Monaten. Unerwünschte ökonomische Effekte wie bspw. eine übermäßige Be- oder ungewollte Entlastung bestimmter Bevölkerungsgruppen können durch die Analyse der Verteilungseffekte identifiziert und aufgezeigt werden.

In der Kurzexpertise wurden die Wirkungen von zwei temporären finanzpolitischen Instrumenten, die von der Bundesregierung als Teil des Konjunkturpakets während der Corona-Pandemie verabschiedet wurden, dezidiert untersucht. Die betrachteten Maßnahmen sind (i) die Auszahlung des Kinderbonus und (ii) die temporäre Senkung der Umsatzsteuersätze. Aufgeschlüsselt nach verschiedenen Haushaltstypen wurden die Auswirkungen auf das Haushaltseinkommen, die Konsumausgaben sowie auf Armuts- und Ungleichheitsmaße dargestellt.

Methodische Vorgehensweise

ifo-Mikrosimulationsmodell ifo-MSM-TTL

Datenquellen

Sozioökonomisches Panel (SOEP) aus dem Jahr 2018 (v35), Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) aus dem Jahr 2018

Ergebnisse

Durch den Kinderbonus wurden die durchschnittlichen Haushaltseinkommen und Konsumausgaben gegenüber einem Ausgangsszenario ohne Reformmaßnahmen deutlich erhöht. Der Kinderbonus bewirkte bei Haushalten im ersten Einkommensdezil eine Erhöhung des Einkommens um etwa 1,2 Prozent und bei den Konsumausgaben um etwa 0,9 Prozent verglichen mit dem Ausgangsszenario. Im dritten Einkommensdezil lagen die Werte bei 0,6 und 0,4 Prozent. Erst ab dem achten Einkommensdezil lagen die relativen Zuwächse bei Einkommen und Konsum unter 0,1 Prozent. Damit wurden vor allem Familien mit geringeren und mittleren Einkommen, die besonders durch die Corona-Krise belastet waren und werden, relativ bessergestellt.

Die empirische Frage, in welchem Umfang die temporäre Senkung der Umsatzsteuersätze an die Endverbraucher*innen weitergegeben wurde, ist noch nicht abschließend geklärt. Für die Kurzexpertise wurden daher zwei Szenarien betrachtet, die einen möglichen Korridor aufspannen: Einerseits wurde von einer vollständigen und andererseits von einer hälftigen Weitergabe der Umsatzsteuersenkungen an die Konsument*innen ausgegangen. Die Umsatzsteuersenkungen haben per Annahme im Modell keinen Einfluss auf die durchschnittlichen Haushaltseinkommen, beeinflussen jedoch die Konsummöglichkeiten der Haushalte. Wurde die Steuersenkung vollständig weitergegeben, so stieg der durchschnittliche Konsum um 0,9 Prozent in jedem Haushalt im Jahr 2020. Bei einer hälftigen Weitergabe waren es etwa 0,4 Prozent. Alleinstehende, Alleinerziehende und Haushalte mit keinem oder einem Kind sowie Haushalte in den unteren Einkommensdezilen profitierten relativ gesehen mit dem größten Zuwachs an Konsumausgaben.  Die in der Kurzexpertise dargestellten Konsumanpassungen durch die Umsatzsteuersenkungen stellen dabei eine untere Grenze dar, da im Modell keine Vorzieheffekte durch die erwartete Erhöhung der Umsatzsteuersätze im nächsten Jahr berücksichtigt werden.

In einem letzten Schritt wurden die kombinierten Verteilungswirkungen von der Auszahlung des Kinderbonus und der temporären Umsatzsteuersenkungen betrachtet. Bei einer vollständigen Weitergabe der Steuersenkung erhöhte sich der Konsum zusammen mit dem Kinderbonus im Modell um 1,1 Prozent, bei einer hälftigen Weitergabe um 0,6 Prozent. Bei den durchschnittlichen Haushaltstypen waren die Konsumauswirkungen mit 2,1 bzw. 1,6 Prozentpunkten für Alleinerziehende am größten. Haushalte mit drei Kindern profitierten mit einem Konsumzuwachs von ebenfalls 2,1 bzw. 1,7 Prozentpunkten erwartungsgemäß am meisten. Bei der Unterscheidung nach Einkommensdezilen konnten Haushalte im ersten Dezil ihren Konsum mit 1,8 bzw. 1,4 Prozentpunkten am deutlichsten gegenüber dem Ausgangsszenario steigern.

Die Reformmaßnahmen trugen auch zu einer Verbesserung der Ungleichheits- und Armutsmaße bei. Der Gini-Koeffizient sank bezogen auf die Haushaltseinkommen um 0,2 Prozentpunkte. Die Armutsrisikoquote sank durch den Kinderbonus trotz Erhöhung des Medianeinkommens um 0,4 Prozentpunkte und die Kinderarmutsrisikoquote sank um 1,5 Prozentpunkte. Das P90-P10-Verhältnis sank bezogen auf das Einkommen um 0,038. Bezogen auf den Konsum sank das P90-P10-Verhältnis mit dem Kinderbonus und einer hälftigen Weitergabe der Umsatzsteuersenkungen um 0,024, bei einer vollständigen Weitergabe um 0,026. Es zeigt sich bezogen auf die Armuts- und Ungleichheitsmaße, dass der Kinderbonus für das Verteilungsziel der finanziellen Entlastung von Familien mit niedrigen und mittleren Einkommen eine wirksame Leistung darstellt. Aufgrund der temporären Natur des Kinderbonus dürfte von diesem keine nennenswerten positiven oder negativen Arbeitsangebotseffekte ausgehen. Es dürfte sich daher um einen - verteilungspolitisch erwünschten - Mitnahmeeffekt handeln.

Publikation

Aufsatz in Zeitschrift
Maximilian Joseph Blömer, Przemyslaw Brandt, Mosler Martin, Andreas Peichl
ifo Institut, München, 2021
ifo Schnelldienst, 2021, 74, Nr. 02, 45-50