Projekt

Benchmarking Digitalisierung in Deutschland

Auftraggeber: Industrie- und Handelskammer für München und Oberbayern
Projektlaufzeit: April 2021 – September 2021
Bearbeitender Bereich:
Projektteam: Prof. Dr. Oliver Falck, Dr. Nina Czernich, Christian Pfaffl , Fabian Ruthart, Anita Wölfl

Fragestellung und Ziele des Projekts

Die Studie wird innerhalb des Rahmenvertrags Rahmenvertrags des ifo Instituts mit der IHK für München und Oberbayern zur Erstellung volkswirtschaftlicher Studien bearbeitet. Dabei handelt es sich um ein über mehrere Jahre laufendes Großprojekt, in dem unabhängige, wissenschaftlich fundierte volkwirtschaftliche Beratung erfolgt.

Ziel der vorliegenden Studie ist eine Bestandsaufnahme, wo Deutschland im internationalen Vergleich in der Digitalisierung steht. Im Vordergrund sind dabei unterschiedliche Schlüsselfelder der Digitalisierung, wie zum Beispiel digitale Infrastruktur, digitale Kompetenzen, digitale Innovationsfähigkeit, E-Government und Akzeptanz der digitalen Transformation in der Gesellschaft.

Die Analyse orientiert sich an drei Leifragen:

  • In welchen Schlüsselfeldern der Digitalisierung schneidet Deutschland im internationalen Vergleich gut ab, wo hinkt Deutschland noch hinterher?
  • Welche Schlüsselfelder sollten in den Fokus der Politik gesetzt und zu deren Förderung eine politische Strategie entwickelt werden?
  • Welche nationalen Digitalstrategien könnten als Vorbild dienen?

Methodische Vorgehensweise

Internationales Benchmarking, Analyse zugrundeliegender Faktoren und daraus abgeleitete generelle Handlungsempfehlungen für die Politik (Prioritäten)

Datenquellen

International vergleichbare Daten und Indikatoren auf disaggregiertem Niveau (Branchen, Regionen, Berufe, Kompetenzen, Alterskohorten, Politikfelder, etc.), z.B. von Eurostat, OECD, World Bank, etc.

Ergebnisse

Deutschlands Unternehmen stehen bei der Digitalisierung generell nicht schlecht da. Deutschland ist eines der führenden Innovationsländer, vor allem innerhalb Europas, und kann bei einzelnen für die Digitalisierung bedeutenden Schlüsseltechnologien punkten. Allerdings scheinen andere Länder, insbesondere die USA und zunehmend auch China und Südkorea, neue Ideen oft besser in erfolgreiche Produkte und Unternehmen umwandeln zu können. Deutschland scheint außerdem von Daten wie auch von digitalen Technologien nur indirekt im Rahmen ihrer industriellen Stärken zu profitieren. Dies kommt auch in einem relativ kleinen Informations- und Kommunikations-(IKT)-Sektor zum Ausdruck. 

Vor allem scheint Deutschland jedoch die Vorteile, die junge Unternehmen für Innovation, Produktivität und Wettbewerb bieten, nicht vollumfänglich auszuschöpfen; die Gründungsrate ist in Deutschland sehr niedrig und noch dazu seit Jahren rückläufig. Dies ist ein zentraler Schwachpunkt für die digitale Transformation und digitale Innovationen in Deutschland, zumal dadurch auch langfristig die Verbreitung von digitalen Geschäftsmodellen und Technologien in Wirtschaft und Gesellschaft gebremst wird. Hier gilt es, an der generellen Entrepreneurship-Kultur in Deutschland zu arbeiten und vor allem die Hürden beim Zugang zu Finanzierung, allen voran dem Venture Capital-Markt, zu beseitigen.
Zu den kommerziell erfolgreichsten Vertretern der Digitalwirtschaft zählen Unternehmen, deren Geschäftsmodell auf einer digitalen Plattform basiert. Während die größten und erfolgreichsten Plattformunternehmen in den USA und dem asiatisch-pazifischen Raum angesiedelt sind, spielen europäische und deutsche Plattformunternehmen eine vergleichsweise untergeordnete Rolle. Hinsichtlich digitaler Geschäftsmodelle lassen sich einige Erfolgsfaktoren identifizieren, mit denen sich europäische Digitalunternehmen trotz der großen Konkurrenz erfolgreich am Markt positionieren können. Dazu zählen das lokale Wissen über Regulierung und Märkte, branchen- und produktspezifische Differenzierungsmöglichkeiten sowie die Spezialisierung auf eine bestimmte Marktnische. 

Bezüglich der digitalen Kompetenzen liegt Deutschland im internationalen Vergleich im Mittelfeld. Während Deutschland bei den grundlegenden Kompetenzen recht gut abschneidet, fällt es bei den mehr als grundlegenden Kompetenzen hinter die Spitzenreiter zurück. Bei der Nutzung der Kompetenzen von IKT-Fachkräften liegt Deutschland sogar unter dem europäischen Durchschnitt. Sowohl bei den Indikatoren zu Kompetenzen als auch zu Weiterbildung erreichen die Sektoren Baugewerbe, Einzelhandel, Beherbergung sowie Dienstleistungen wiederholt nur unterdurchschnittliche Werte. Die deutschen Schüler*innen schneiden im internationalen Vergleich nur mittelmäßig ab. 

Gegenüber der Digitalisierung und neuen Technologien sind die Deutschen nicht grundsätzlich negativ eingestellt, sondern sehen viele Vorteile dadurch. Bezüglich ihrer personenbezogenen Daten machen sie sich allerdings Sorgen und wünschen sich eine restriktivere Handhabung als die meisten anderen Europäer*innen. Allerdings entstehen gerade durch die systematische Nutzung von Daten, z.B. für die Optimierung von Produktions- und Verwaltungsprozessen oder für neue Geschäfts- und Arbeitsmodelle, große Wachstumspotenziale der Digitalisierung. Bei der Entscheidung, wie restriktiv Datenschutz gehandhabt werden soll, sollten daher auch die Kosten berücksichtigt werden, die aus entgangenen Chancen für neue Geschäftsmodelle, effizienteren Prozessen oder verbesserten öffentlichen Dienstleistungen entstehen. 
Bei der digitalen Infrastruktur besteht nicht nur ein Angebots-, sondern auch ein Nachfrageproblem. Wo leitungsgebundene und mobile Internetanschlüsse verfügbar sind, wird ihr Potenzial oft nicht ausgeschöpft und schnelles Internet nicht nachgefragt. Ein Grund hierfür scheint die Preisstruktur zu sein. Eine weitere mögliche Erklärung für die geringe Nutzung von schnellem und/oder mobilem Internet ist hingegen das mangelhafte Angebot an digitalen Angeboten (z. B. digitaler öffentlicher Dienstleistungen) sowie der aktuelle Digitalisierungsgrad von Unternehmen. Den Ausbau der digitalen Infrastruktur in Deutschland sollte man dennoch weiterhin fördern und sich ambitionierte Ziele setzen, um bisher unterversorgte Regionen mit schnellem Internet zu erschließen. Staatliche Förderung sollte stärker nachfrageorientiert, z.B. über Voucher-Systeme gestaltet werden. Wenn der Infrastrukturausbau wie bisher vorrangig privatwirtschaftlich stattfinden soll, muss zudem die Zahlungsbereitschaft für leistungsfähige Anschlüsse steigen. Um dies zu erreichen, muss Nutzer*innen ein deutlicher Mehrwert im Vergleich zu ihren bisherigen Anschlüssen geboten werden, beispielsweise durch eine Ausweitung des Angebots, das nur über einen leistungsfähigeren Internetanschluss wahrgenommen werden kann.

Deutschland schneidet bei E-Government-Aktivitäten im internationalen Vergleich unterdurchschnittlich ab. Besonderen Nachholbedarf gibt es bei der Nutzerfreundlichkeit der digitalen öffentlichen Dienstleistungen, beim Datenaustausch zwischen den Behörden und bei den digitalen öffentlichen Dienstleistungen für Unternehmen. Hauptursachen hierfür sind fehlende Entscheidungskompetenzen in den föderalen Strukturen, die Beschaffung im öffentlichen Sektor und die fehlenden digitalen Kompetenzen in der öffentlichen Verwaltung. Zwar wurden in den vergangenen Jahren die rechtlichen Grundlagen für eine moderne Verwaltung geschaffen und einige Projekte auf Bundes- und Landesebene angestoßen, um die Bereitstellung digitaler öffentlicher Dienstleistung zu verbessern. Allerdings gestaltet sich die Umsetzung der Projekte als zumeist schleppend und ineffizient.

Damit Deutschland ein führendes Innovationsland bleibt, muss die neue Bundesregierung die notwendigen Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche digitale Transformation setzen. Dabei geht es nicht um eine aktive Industriepolitik, sondern vielmehr um die Rahmenbedingungen und Voraussetzungen für digitale Geschäftsmodelle. Die öffentliche Hand sollte selbst aktiv werden in Bezug auf das Angebot digitaler staatlicher Serviceleistungen, die Bereitstellung von Daten und die Nachfrage nach digitalen Innovationen durch die öffentliche Beschaffung.

Publikation

Monographie (Autorenschaft)
Oliver Falck, Nina Czernich, Christian Pfaffl, Fabian Ruthardt, Anita Wölfl
ifo Institut, München, 2021
ifo Studie
Kontakt
Prof. Dr. Oliver Falck

Prof. Dr. Oliver Falck

Leiter des ifo Zentrums für Industrieökonomik und neue Technologien
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