Aufsatz in Zeitschrift

Erwartungsbilanz und Konjunkturforschung : Axiomatik versus Erhebung

Gunther Tichy
ifo Institut für Wirtschaftsforschung, München, 1992

in: ifo Studien : Zeitschrift für empirische Wirtschaftsforschung, 1992, Nr. 01, 43-82

Die Erwartungsaxiomatik der modernen Konjunkturtheorie postuliert mit den rationalen Erwartungen ein Modell, das zentrale Probleme nicht erklären kann. Etwas überspitzt ließe sich formulieren, daß nicht die Erwartungen durch die Lösung des bekannten und unveränderlichen Modells ("true model") gewonnen werden, sondern daß gerade umgekehrt Erwartungen, die bloß zum Teil durch wirtschaftliche Faktoren im engeren Sinn beeinflußt werden, die jeweilige Formulierung des bounded-rationality-Modells bestimmen, an dem die Wirtschaftssubjekte ihr Verhalten ausrichten. Dieses Modell ändert sich mit der Konjunkturlage, mit dem Grad der Unsicherheit, aber auch mit dem Wandel längerfristiger Einstellungen ("Weltanschauung"). Psychologische Experimente zeigen, daß bei der Auswahl des Modells Informationen sehr selektiv und wertend behandelt werden, und daß die Nutzenmaximierung keineswegs "ökonomisch" nach dem Mittelwert-Varianz-Prinzip erfolgt, sondern gemäß der Vermeidung großer Risiken (auch wenn diese mit großen Gewinnen verbunden wären) und der Orientierung an der unmittelbaren Vergangenheit. Demgemäß muß sich das Modell und damit die Erwartungsbildung im Konjunkturverlauf ändern. Längerfristig ändert sich das Modell möglicherweise deshalb weil die Nachteile des jeweils herrschenden Paradigmas ebenso überschätzt werden wie die Vorteile der jeweiligen Alternative.

Schlagwörter: Konjunktur, Betriebliches Rechnungswesen, Österreich, Konjunkturumfrage