Aufsatz in Zeitschrift

Auswirkungen der Krise auf Schwellenländer: Welches Entwicklungsmodell hat sich bewährt?

Thomas Mirow, Gunther Schnabl, Michael Knogler, Klaus-Jürgen Gern
ifo Institut für Wirtschaftsforschung, München, 2010

ifo Schnelldienst, 2010, 63, Nr. 06, 03-17

Die Jahre vor der Finanzkrise waren durch ein rasches Produktionswachstum in der Weltwirtschaft insgesamt, vor allem aber durch ein beeindruckendes Wachstum der BRIC-Staaten und weiterer Schwellenländer gekennzeichnet. Nach Ansicht von Thomas Mirow, Präsident der European Bank for Reconstruction and Development, London, war der Entwicklungsweg der Länder Mittel- und Osteuropas – politische und ökonomische Integration mit Westeuropa – bis 2008 erfolgreich und führte zu massiven Kapitalzuflüssen, die sich positiv auf das Wachstum ausgewirkten. Fremdfinanziertes Wachstum habe jedoch seinen Preis: steigende makroökonomische Ungleichgewichte und fragile Finanzsektoren. Das Entwicklungsmodell der Transformationsländer sei deshalb vielschichtig zu beurteilen und erfordere für die Zukunft Handlungsbedarf. Nach der Analyse von Gunther Schnabl, Universität Leipzig, ist der Aufholprozess, der durch inländische Kapitalakkumulation im Sektor der handelbaren Güter getrieben ist, überholt. In Mittel- und Osteuropa, Ostasien, Lateinamerika und den rohstoffexportierenden Ländern werden Wachstumsprozesse durch den Zustrom von Kapital getrieben. Diese Entwicklungsstrategie, die seit den neunziger Jahren mit dem sinkenden Zinsniveau in den großen Kapitalmärkten an Fahrt gewinne, habe den beeindruckenden Aufstieg der BRIC-Staaten und weiterer Schwellenländer begründet. Sie habe aber auch Schattenseiten. Die Frequenz und Dimension von Krisen sei gestiegen. Dies könne mit der Flucht volatilen Kapitals in die entwickelten Kapitalmärkte enden. Nachdem in den Industrieländern bei Nullzins der geldpolitische Spielraum ausgeschöpft sei und bei schnell steigender Staatsverschuldung der finanzpolitische Spielraum schwinde, schienen die Grenzen des kapitalmarktbasierten Wachstumsmodells absehbar. Michael Knogler, Osteuropa-Institut, Regensburg, wirft einen Blick auf das lange propagierte osteuropäische Aufholmodell eines exportorientierten Wachstums, mit einem kreditfinanzierten Technologieimport als dominanter Entwicklungsstrategie. Dies führte dazu, dass das hohe Wachstum der EU-10-Länder in den Jahren ab 2002 von Zuflüssen ausländischer Investitionen und Krediten aus den westlichen Ländern abhängig war. Als Folge der Finanzkrise könnten westliche Kreditgeber wegen erhöhter Risikoaversion auch mittelfristig ihre Auslandsengagements in Mittel- und Osteuropa deutlich zurückfahren, so dass eine Reduzierung des Potentialwachstums und damit eine Verlangsamung des Konvergenzprozesses (bzw. des »aufholenden Wachstums«) in den EU-10 wahrscheinlich seien. Klaus-Jürgen Gern, Institut für Weltwirtschaft, Kiel, ist der Meinung, dass die Schwellenländer, zumindest eine bestimmte Gruppe der Länder, den vor der Krise erreichten Wachstumspfad wieder weiter verfolgen können. Für eine stärkere Abkoppelung der Schwellenländer vom Wachstum in den Industrieländern auf die mittlere Frist sei jedoch eine Stärkung der Binnennachfrage vor allem in den großen Schwellenländern, deren Wachstum bislang in erheblichem Maße exportgetrieben war, notwendig.

Schlagwörter: Finanzmarktkrise, Weltwirtschaft, Wirtschaftswachstum, Osteuropa, Industriestaaten, Schwellenländer, EU-Staaten
JEL Klassifikation: G100,O100

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Zeitschrift (Einzelheft)
ifo Institut für Wirtschaftsforschung, München, 2010