Aufsatz in Zeitschrift

Die schwierige Beziehung der EU zur Türkei: Wie sieht die Zukunft der Türkei aus?

Ludwig Schulz, Helge Tolksdorf, Ayşe Yüreklí, Erdal Yalcin, Galina Kolev
ifo Institut, München, 2016

ifo Schnelldienst, 2016, 69, Nr. 21, 03-25

Die Türkei ist im Ausnahmezustand, das Verhältnis zur EU gefährdet wie nie und die Chance auf einen EU-Beitritt ist gesunken. Statt der Diskussion über ungenutzte wirtschaftliche Potenziale rücken nunmehr die Fragen der Bewertungen der politischen Risiken in das Zentrum der Aufmerksamkeit. Für Ludwig Schulz, Centrum für angewandte Politikforschung (C·A·P), Ludwig-Maximilians-Universität München, markiert der gescheiterte Putsch vom 15. Juli 2016 einen Einschnitt in der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung der Türkei. Präsident Erdog ˇ an und die AKP arbeiten an einer »Neuen Türkei«, deren Kern eine konservativ- nationalistische Einheit unter neuer präsidentieller Führung sei. Für liberale Demokratie, Pluralismus und Europa dürfte darin kein Platz sein. Bisher fehle eine überzeugende Antwort von Deutschland und der EU. Helge Tolksdorf, Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, sieht die türkische Volkswirtschaft am Scheideweg. Die wirtschaftlichen Erfolge der Türkei in den zurückliegenden Jahren seien zweifelsohne eine Erfolgsgeschichte, eine Fortsetzung des auf Auslandskrediten und Binnennachfrage basierten Wirtschaftsmodells sei aber nur bei Wiederherstellung von Vertrauen in die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in der Türkei möglich. Ays¸ e Yüreklí, TÜSIAD und TCCI, plädiert für eine kritische Auseinandersetzung mit der »Türkei-Frage«. Versage die europäische Politik gegenüber der Türkei weiterhin, werde sich dieses Land tatsächlich auf eine beunruhigende Weise weiter verändern. Ein EU-Beitritt der Türkei dürfte die Heterogenität der EU deutlich vergrößern, dies sei aber nicht unbedingt negativ. Erdal Yalcin, ifo Institut, diskutiert die negativen Auswirkungen für die Türkei, falls TTIP in Kraft tritt. Die erwarteten Verluste der Türkei würden sich in der langen Sicht bis auf 2% des BIP belaufen. Ein wesentlicher Grund seien institutionelle Schwächen in der Organisation der Europäischen Zollunion mit der Türkei. Ein gangbarer Weg, den Nachteilen entgegenzuwirken, liege darin, das Zollabkommen weiter zu vertiefen. Galina Kolev, Institut der deutschen Wirtschaft Köln, weist darauf hin, dass trotz der erreichten Fortschritte die wirtschaftliche Lage in der Türkei relativ fragil bleibe, da die türkische Wirtschaft nach wie vor durch grundlegende Ungleichgewichte charakterisiert werde. So sei das nach wie vor hohe Leistungsbilanzdefizit und die dahinter steckende Abhängigkeit von ausländischem Kapital eine Herausforderung für die langfristige Entwicklung des Landes. Um die langfristige Attraktivität der Türkei für internationale Investoren zu sichern, müsse die Regierung ihre Reformanstrengungen weiter fortsetzen, Anreize für Innovationen und Forschung verstärken und die Stabilität und das Vertrauen in die institutionellen Rahmenbedingungen wieder herstellen.

Schlagwörter: Internationale Wirtschaftsbeziehungen, Handelsabkommen, EU-Mitgliedschaft, Türkei, EU-Staaten
JEL Klassifikation: F500, F130

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ifo Institut, München, 2016