Aufsatz in Zeitschrift

Reform der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern: Fairer Kompromiss oder Setzen neuer Fehlanreize?

Edith Sitzmann, Stefan Korioth, Thomas Lenk, Philipp Glinka, Friedrich Heinemann, Joachim Wieland, Martin Junkernheinrich
ifo Institut, München, 2016

ifo Schnelldienst, 2016, 69, Nr. 24, 03-23

Am 14. Oktober 2016 einigten sich die Regierungschefs von Bund und Ländern nach langen Verhandlungen auf eine Neuregelung der föderalen Finanzbeziehungen ab 2020. Anstelle des Länderfinanzausgleichs in seiner jetzigen Form tritt ein neues Umverteilungssystem. Was bedeutet die Vereinbarung für Bund und Länder? Nach Ansicht von Edith Sitzmann, Ministerin für Finanzen des Landes Baden-Württemberg, hat sich das Verhandeln gelohnt und zu einem fairen Kompromiss geführt. Durch den Wegfall des bisherigen Länderfinanzausgleichs im engeren Sinn werde künftig der Streit darum, wer Geber- und wer Nehmerland sei, entschärft, dies sei für den Zusammenhalt im Bundesstaat gut. Auch werde mit dem neuen Finanzausgleich die notwendige Balance zwischen Eigenverantwortlichkeit und Selbständigkeit der Länder einerseits und Unterstützung für schwächere Länder andererseits beibehalten. Falls das vereinbarte Paket geltendes Recht wird, sieht Stefan Korioth, Ludwig-Maximilians-Universität München, eine ausgewogene Finanzverteilung zwischen Bund und allen Ländern nicht gewährleistet. Die Einigung überzeuge weder konzeptionell noch mit Blick auf die allseits geforderte Transparenz der Finanzströme. Sie könne gravierende Kollateralschäden im föderalen System insgesamt anrichten und sei, insgesamt gesehen, ein föderales Desaster, vor allem für die Länder, die ohne Not in eine Selbstverkleinerung und Selbstentmachtung gegen mehr Geld vom Bund eingewilligt hätten. Thomas Lenk und Philipp Glinka, Universität Leipzig, sehen vor allem eine Ausweitung der Kompetenzen des Bundes im Rahmen der Aufgabenwahrnehmung, der in verschiedenen Bereichen zulasten der Länder gestärkt werde. Erfasst sind die Bereiche der Steuerverwaltung, der Digitalisierung und der Bundesfernstraßenverwaltung. Darüber hinaus werden die Rechte des Bundes bei Mischfinanzierungstatbeständen und Investitionen in die kommunale Bildungsinfrastruktur erweitert. Die weitgehende Aufgabe des finanziellen Einstehens der Länder füreinander im bundesstaatlichen Finanzausgleich, die höhere Abhängigkeit der Ländergesamtheit vom Bund und die zunehmende Einnahmenungleichheit zwischen den Ländern bedeute eine faktische Abkehr von gewachsenen und etablierten Leitprinzipien. Für Friedrich Heinemann, ZEW Mannheim und Universität Heidelberg, wäre eine Reform des Finanzausgleichs geboten gewesen, die den Bundesländern neue Freiheitsgrade auf der Einnahmeseite eröffnet, die eine neue umfassende Lastverschiebung auf den Bund vermeidet und die Anreize setzt, mit größerer Offenheit eine Länderneugliederung zu prüfen. Die durch den Bund-Länder-Kompromiss erfolgte Weichenstellung erfülle aber keine dieser Anforderungen auch nur ansatzweise. Joachim Wieland, Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer, sieht dagegen die Reform der Finanzbeziehungen als Chance für den Bundesstaat. Die Neuregelung verspreche eine Reduzierung von Komplexität, Solidaritätsanforderungen und Streitanfälligkeit zu dem Preis eines Erstarkens der Rolle des Bundes. Für Martin Junkernheinrich, Technische Universität Kaiserslautern, ist der gefundene Konsens zunächst ein Erfolg. Aber die Freude darüber habe zur Vernachlässigung weiterer zentraler Reformbedarfe geführt. Besonders unbefriedigend sei unter anderem der Verzicht auf eine Lösungsperspektive zum Abbau der hohen und zwischen den Ländern deutlich divergierenden Altschulden und eine Nichtberücksichtigung der kommunalen Finanzprobleme. Schließlich sei die Stärkung des Bundes in seiner Umverteilungsfunktion sowie der aufgabenpolitische Kompetenzgewinn nicht in eine föderalismuspolitische Gesamtperspektive eingebunden.

Schlagwörter: Finanzbeziehungen, Föderalismus, Finanzausgleich
JEL Klassifikation: H710, H720, H770

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ifo Institut, München, 2016