Aufsatz in Zeitschrift

Gewinner und Verlierer in der Welt dauerhafter Niedrigzinsen

Jürgen Michels, Gunther Schnabl, Helmut Schleweis, Dominik Löber, Michael Menhart, Ansgar Belke, Daniel Gros
ifo Institut, München, 2019

ifo Schnelldienst, 2019, 72, Nr. 20, 03-23

Sparer, Unternehmen, Versicherungen und Staatshaushalt müssen sich auf langfristig niedrige oder sogar Negativzinsen einstellen. Welche Folgen hat die ultralockere Geldpolitik der Europäischen Zentralbank? Drohen Europa mit niedrigen Zinsen und einer Geldschwemme japanische Verhältnisse?

Nach Ansicht von Jürgen Michels, BayernLB, hat die ultralockere Geldpolitik der EZB und anderer Zentralbanken einen maßgeblichen Beitrag zur wirtschaftlichen Erholung nach der globalen Finanzkrise und der darauffolgenden Staatsschuldenkrise im Euroraum geleistet. Mit zunehmender Dauer der Maßnahmen nehmen aber die negativen Auswirkungen überhand.

Gunther Schnabl, Universität Leipzig, schätzt die Verteilungseffekte der Geldpolitik aus gesellschaftlicher Sicht als bedenklich ein. Vor allem die Mittelschicht leide unter der Entwertung der Ersparnisse und geringen realen Lohnzuwächsen. Die Allokation der Ressourcen sei nicht mehr an Leistung gebunden, und die Größe des Vermögens hänge vor allem von der EZB ab. Das erhöhe die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen die gegebene Ordnung als ungerecht empfinden und sich von etablierten Parteien abwenden.

Helmut Schleweis, Deutscher Sparkassen- und Giroverband e. V., sieht durch die dauerhafte expansive Geldpolitik »mehr Schaden als Nutzen« entstehen. Durch die Übertreibungen der letzten Jahre habe die Geldpolitik ihre Anreizfunktion verloren. Von der Entwicklung in Japan könne man lernen, dass eine langjährige Geldschwemme wirtschaftliche Dynamik ersticke, die Stabilität des Finanzsystems gefährde und zu deutlich höheren Preisen für Bankdienstleistungen führe.

Nach Ansicht von Dominik Löber, Roland Berger GmbH, sind Niedrigzinsen weder ein europäisches Problem noch von Zentralbanken verursacht. Die Gründe für das Absinken des Realzinses seien eher ein Überangebot an Kapital im Markt und ein geringes Produktivitätswachstum. Während das Angebot an Kapital steige, bleibe die Nachfrage zurück. Um gute Renditen zu erzielen, seien Innovationen nötig. Doch die Entwicklung von technologischen Innovationen bleibe seit Längerem hinter den Erwartungen zurück.

Michael Menhart, Munich Re, sieht vor allem die staatlichen und privatwirtschaftlichen Schuldner aktuell als Gewinner des Niedrigzinsumfeldes. Während Banken, Versicherungen und auch große Teile der Mittelschicht, die kein nennenswertes Aktien- und Immobilienvermögen besitzen, zu den Verlierern gehörten. Die Risiken steigen aber für alle.

Ansgar Belke, Universität Duisburg-Essen, und Daniel Gros, CEPS, Brüssel, fragen nach den Gewinnern des Quantitative Easing im Euroraum und kommen zu dem Ergebnis, dass die Peripherieländer nicht in dem Umfang »Gewinner« der Niedrigzinspolitik der EZB sind, wie von ihr intendiert.
 

Schlagwörter: Geldpolitik, Zinspolitik, Niedrigzinspolitik, Europa
JEL Klassifikation: E520, G210

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