Aufsatz in Zeitschrift

Wenn Menschen (keine) Menschen treffen: Simulation der Auswirkungen von Politikmaßnahmen zur Eindämmung der zweiten Covid-19-Welle

Florian Dorn, Janos Gabler, Hans-Martin von Gaudecker, Andreas Peichl, Tobias Raabe, Klara Röhrl
ifo Institut, München, 2020

ifo Schnelldienst digital, 2020, 1, Nr. 15, 01-07

Um die zweite Corona-Welle im Herbst zu brechen, hat Deutschland im November 2020 einen »Lockdown-light« verhängt. Dieser reichte noch nicht aus, um die von der Politik selbstgesetzten Voraussetzungen für eine Lockerung der Maßnahmen in Form eines Corona-Inzidenzwertes von unter 50 zu erfüllen. Die Politik muss nun abwägen, wie sie die Infektionen in den nächsten Wochen weiter zurückführen möchte, wenn sie den Lockdown nicht bis ins Frühjahr verlängern möchte. Mit Hilfe eines neu entwickelten mikrobasierten Modells simulieren wir die Wirkung verschiedener kontaktreduzierender Politikmaßnahmen. Unsere Ergebnisse zeigen, dass eine Verlängerung des bisherigen Lockdown-light die Zahl der Neuinfektionszahlen in den nächsten Wochen nur sehr langsam reduzieren würde. Bis Weihnachten würde der Inzidenzwert deutschlandweit nicht unter 75 fallen. Um die Inzidenz über Kontaktbeschränkungen weiter zu reduzieren, diskutiert die Politik Optionen, die von verschiedenen Verschärfungen der Restriktionen in Bildungseinrichtungen oder im Einzelhandel bis hin zu weitgehenden Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen reichen. Eine Option ist die Einführung von Wechselklassen bzw. digitalem Fernunterricht. Unsere Analysen zeigen, dass eine solche Einschränkung des Schulbetriebs ausreichen könnte, um bis Weihnachten den 7-Tageinzidenzwert von 50 zu unterschreiten. Allerdings drohen große Kosten im Bereich der Bildung für Schüler, an deren Schulen die notwendige digitale Infrastruktur und Konzepte für Homeschooling nicht vorhanden sind. Diese könnten Deutschland langfristig großen Schaden zufügen. Jedoch ist es auch bei regulärem Schulbetrieb möglich, die 7-Tagesinzidenz bis Weihnachten unter 50 zu drücken: Die Simulationen zeigen, dass die Schließung und Einschränkung weiterer Wirtschafts- und Geschäftstätigkeiten mit offenen Schulen dieselbe Wirkung hätte wie die zusätzliche Schließung von Schulen bei Fortführung des Lockdown-light. Wenn das Infektionsgeschehen also stärker reduziert werden soll, braucht es eine Abwägung, welcher Schaden wirtschaftlich und gesellschaftlich höher einzustufen ist: der langfristige durch die Einschränkung der Schulen oder der kurzfristige durch die Schließung weiterer Wirtschaftszweige.

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Zeitschrift (Einzelheft)
ifo Institut, München, 2020