Aufsatz in Zeitschrift

Wie groß ist der Gender Gap? Anspruch und Wirklichkeit der Gleichstellungspolitik

Andreas Peichl, Britta Rude, Michael Oberfichtner, Sarah Gust, Lavinia Kinne, Holger Rau, Miriam Beblo, Eva Markowsky, Marc J. Lerchenmüller, Christina Boll, Dana Müller, Simone Schüller, Laura Romeu Gordo, Julia Simonson
ifo Institut, München, 2022

ifo Schnelldienst, 2022, 75, Nr. 10, 03-35

Andreas Peichl und Britta Rude, ifo Institut, stellen die Entwicklung des geschlechtsspezifischen Einkommensgefälles in Deutschland dar. So sei die geschlechtsspezifische Einkommenskluft zwischen 2001 und 2016 leicht gestiegen. Besonders signifikant seien Einkommensunterschiede zwischen Männern und Frauen am oberen und unteren Ende der Einkommensverteilung sowie bei den Selbständigen. Strukturelle Maßnahmen, wie Investitionen in die geschlechterneutrale Pädagogik, vor allem während der frühkindlichen Bildung, könnten helfen, die Einkommenskluft zwischen den Geschlechtern zu schließen.

Die Arbeitsmarktergebnisse von Frauen und Männern unterscheiden sich immer noch erheblich. Michael Oberfichtner, Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Nürnberg, zeigt, dass die Unterschiede in den Erwerbsverläufen von Frauen und Männern direkt nach dem Eintritt in den Arbeitsmarkt deutlich abgenommen haben. Über das Erwerbsleben nehmen die Unterschiede jedoch stark zu, wobei Familiengründungen eine entscheidende Rolle spielen. 

Luise Görges, Leuphana Universität Lüneburg, sieht in der Arbeitsteilung in Familien die entscheidende Hürde auf dem Weg zur Gleichberechtigung. Noch immer liege die Hauptverantwortung der sogenannten Sorgearbeit bei den Frauen. Nötig seien Maßnahmen, die die Vereinbarkeit von Beruf und Familie für beide Geschlechter erhöhen und Anreize zu einer egalitären Arbeitsteilung setzen. Auch eine Ausweitung der Quotenregelung in Erwerbs- und Sorgearbeit könnte helfen, traditionelle Rollen und Zuständigkeiten aufzubrechen.

Sarah Gust und Lavinia Kinne, ifo Institut, untersuchen, inwieweit Lohntransparenz den Gender Pay Gap verringern konnte. Während in einigen Ländern, beispielsweise in Kanada oder Dänemark, transparentere Lohniveaus Einkommensunterschiede reduzierten, treffe dies weder für Österreich noch für Deutschland zu. Ein Grund könnte sein, dass viele Mitarbeitende nicht wissen, dass die Einkommensberichte in ihrem Unternehmen existieren. 

Nach Ansicht von Holger Rau, Universität Duisburg-Essen, spielt bei der Entstehung des Gender Pay Gap neben einer zu kleinen Bewerbungsrate von Frauen auch diskriminierendes Verhalten eine Rolle. Zudem unterscheiden sich Frauen und Männer in ihren ökonomischen Präferenzen. Frauen seien im Vergleich zu Männern risikoabgeneigter und meiden eher Wettbewerbssituationen. Deshalb sei ein Erfolg von politischen Quotenregelungen fraglich. Es sollte stattdessen über institutionelle Veränderungen im Bildungssektor nachgedacht werden, die zu einer Veränderung der Wettbewerbspräferenzen führen könnten. 

Miriam Beblo und Eva Markowsky, Universität Hamburg, identifizieren in einer Meta-Studie Differenzen im Wettbewerbsverhalten der Geschlechter. Männer und Frauen verhalten sich unter speziellen Bedingungen, nämlich den Laborexperimenten mit Studierenden, unterschiedlich. Sobald eine andere Bevölkerungsgruppe, eine andere Umgebung oder ein anderer Aufgabentyp in den Blick genommen wird, kann sich diese Lücke merklich verringern. Somit gebe es Möglichkeiten, durch Veränderung der Rahmenbedingungen, den Gender Gap zu verkleinern.

Marc J. Lerchenmüller, Universität Mannheim, stellt zwar Fortschritte bei der Verringerung des Gender Gap in der Wissenschaft fest, aber geht von einem noch längere Zeit bestehenden Unterschied in der Teilhabe von Männern und Frauen im wissenschaftlichen Arbeitsmarkt aus. Eine nachhaltige Mobilisierung des vorhandenen Potenzials von Wissenschaftlerinnen sei jedoch für Wohlstand und Fortschritt der Gesellschaft wichtig. Deshalb sollte unter anderem die finanzielle und strukturelle Unterstützung insbesondere für Wissenschaftlerinnen im kritischen Karrierestadium zwischen dem 30. und 45. Lebensjahr verstärkt werden. 

Christina Boll, Dana Müller und Simone Schüller, Deutsches Jugendinstitut und IAB, zeigen, wie ungleich familiale Sorgearbeit in Deutschland noch immer verteilt ist. Gerade in der Pandemie sei deutlich geworden, dass die familienpolitischen Reformanstrengungen der letzten Jahrzehnte Ungleichheiten nicht in ausreichendem Maße abbauen konnten, da vor allem Mütter die zusätzlichen Lasten, die aufgrund der Kita- und Schulschließungen entstanden sind, tragen mussten – häufig mit negativen Folgen für ihre eigenen Karrierechancen, ihre ökonomische Unabhängigkeit und ihre mentale Gesundheit. Moderne Familien- und Gleichstellungspolitik müsse die Förderung partnerschaftlicher Aufteilung von Fürsorgearbeit für Kinder jetzt dringend voranbringen.

Laura Romeu Gordo und Julia Simonson, Deutsches Zentrum für Altersfragen, Berlin, analysieren den Gender Pension Gap. Durch den starken Zusammenhang zwischen Erwerbsbiografie und Renteneinkommen spiegeln sich die lebenslangen Geschlechterungleichheiten am Arbeitsmarkt in Geschlechterungleichheiten im Renteneinkommen wider. Zudem existiert ein Gender Pay Gap für Rentenbezieher*innen, die aktiv am Arbeitsmarkt sind. Die Faktoren, die sich auf die geschlechtsspezifische Diskrepanz auswirken, setzen schon früh im Berufsleben ein und führen dazu, dass Frauen stärker von Altersarmut betroffen sind als Männer.

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ifo Institut, München, 2022