Aufsatz in Zeitschrift

Sanktionen gegen Russland: Wurde ihre Wirkung überschätzt? Eine Zwischenbilanz

Thieß Petersen, Andreas Nölke, Michael Rochlitz, Julia Grauvogel, Filip Medunic, Kai A. Konrad, Marcel Thum
ifo Institut, München, 2023

ifo Schnelldienst, 2023, 76, Nr. 05, 03-22

Auch wenn die Sanktionen gegen Russland bis jetzt nicht die erhoffte politische Wirkung erzielt haben, lässt das, nach Ansicht von Thieß Petersen, Bertelsmann Stiftung, nicht auf ein Scheitern dieser Sanktionen schließen. Die Sanktionen zeigten bereits ökonomische Wirkungen, wobei die wirtschaftlichen Schäden für die russische Volkswirtschaft im Laufe der Zeit größer werden dürften. Zudem würden sie ein starkes politisches Signal aussenden: Sie zeigten, dass die sanktionsverhängenden Staaten bereit seien, selbst Kosten zu tragen, um das sanktionierte Land zu einer Verhaltensänderung zu bewegen. Das könne einen abschreckenden Charakter für andere Staaten haben, die möglicherweise ähnliche unerwünschte Handlungen planten.

Andreas Nölke, Goethe-Universität Frankfurt und Leibniz Institut für Finanzmarktforschung SAFE, untersucht den Ausschluss russischer Banken aus SWIFT und stellt fest, dass diese Sanktion allein von begrenzter Wirksamkeit ist. Der Stellenwert von SWIFT sei in der öffentlichen Debatte übertrieben worden. Die Sanktionen haben grenzüberschreitende Zahlungen für die meisten russischen Banken unbequemer, aber nicht unmöglich gemacht. Nach wie vor existierten genügend Korrespondenzbanken in Russland, um grenzüberschreitenden Handel zu ermöglichen. Gleichzeitig hätten sich Alternativen zu SWIFT – insbesondere das chinesische CIPS – sehr dynamisch entwickelt.

Russlands Wirtschaft ist im Jahr 2022 nur um rund 2 % geschrumpft. Dies ist zwar immer noch massiv, aber weit weniger einschneidend als ursprünglich erwartet. Die Analyse von Michael Rochlitz, Universität Bremen, zeigt, dass Russlands wirtschaftliche Resilienz angesichts der Sanktionen allerdings ein Symptom und Ergebnis der fundamentalen Probleme der russischen Volkswirtschaft ist. Russlands Wirtschaft habe zehn Jahre vor der Invasion der Ukraine aufgehört zu wachsen, und die Gründe der Stagnation seien hauptsächlich politischer Natur. Auch das Beispiel des Iran zeige, dass Länder unter massiven Sanktionen zwar wirtschaftlich überleben, aber nicht den Anschluss an den Rest der Welt halten könne.

Julia Grauvogel, German Institute for Global and Area Studies (GIGA), sieht die Wirkung der Sanktionen vor allem darin, dass sie den Druck auf den Kreml erhöhen, indem sie Russlands Fähigkeit einschränken, den Krieg zu bezahlen und auf dem technisch neuesten Stand zu führen. Sanktionen seien – unabhängig von ihrer Schärfe –nicht geeignet, Kriege unmittelbar zu stoppen. Sie könnten vielmehr als Verhandlungsmasse in Gesprächen dienen.

Sanktionen sind Mittel der Außenpolitik, beruhen aber auf wirtschaftlichen Maßnahmen, die Kosten verursachen. Das Erreichen der politischen Ziele könne allerdings, laut Filip Medunic, European Council on Foreign Relations (ECFR), nicht immer ökonomisch gemessen werden. Klar messbare Ziele seien schwer zu definieren, und eine Gesamtbewertung der Erfolge von Sanktionen sei schwierig.

Kai A. Konrad, Max-Planck-Institut für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen, und Marcel Thum, ifo Dresden, zeigen in ihrer Analyse, dass Rohstoffembargos weniger als viele andere Sanktionen der sanktionierten Konfliktpartei während der Fortdauer des Konflikts schaden. Tatsächlich seien die heute ausbleibenden Verkaufserlöse kein guter Gradmesser für die Wirksamkeit von Rohstoffexportembargos, da Öl, das heute nicht verkauft werde, nicht verschwinde, sondern in der Zukunft verkauft werden könnte. Ein erheblicher Sanktionierungseffekt ergebe sich, wenn für die herrschende Elite in Russland – ohne Sanktionen – die Möglichkeit, ihre Erlöse sicher im Ausland anlegen zu können, entfalle.
 

Schlagwörter: Sanktion, Politischer Konflikt, Russland Wirkungsanalyse
JEL Klassifikation: F510, F130

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