Aufsatz in Zeitschrift

Innovationen in Deutschland und der EU – Weg der Stärke?

Anita Dietrich, Florian Dorn, Clemens Fuest, Daniel Gros, Giorgio Presidente, Philipp-Leo Mengel, Oliver Falck, Svenja Falk, Christoph M. Schmidt, Irene Bertschek, Guido Bünstorf, Uwe Cantner, Carolin Häussler, Till Requate, Friederike Welter, Caroline Paunov, Sylvia Schwaag Serger, Nikolas Schmidt, Tanja Brühl, Anne Schäfer, David B. Audretsch, Edmund S. Phelps
ifo Institut, München, 2024

ifo Schnelldienst, 2024, 77, Nr. 04, 03-37

Anita Dietrich, Florian Dorn, Clemens Fuest, ifo Institut, Daniel Gros, Giorgio Presidente und Philipp-Leo Mengel, Bocconi Universität, Mailand, vergleichen die EU-Innovationspolitik mit der in den USA. Investitionen in FuE in der EU und in Deutschland konzentrieren sich auf Sektoren, die als Midtech-Sektoren klassifiziert werden, darunter vor allem die Autoindustrie. In den USA hingegen dominieren Sektoren, die als Hightech eingeordnet werden, darunter die Digitalwirtschaft und die Gesundheitsindustrie. Ein weiterer Unterschied zwischen den USA und der EU liege nicht im Volumen der staatlichen FuE-Ausgaben, sondern in ihrer Struktur und in den privaten Ausgaben. Die Politik auf europäischer und nationaler Ebene sollte die bestehenden Rahmenbedingungen für Innovationen auf den Prüfstand stellen.

Oliver Falck, Rat für technologische Souveränität und ifo Institut, und Svenja Falk, Rat für technologische Souveränität und Accenture Research, geben einen Überblick der komplexen Förderlandschaft von Schlüsseltechnologien in ausgewählten Ländern und Regionen. Hinter dem Begriff der technologischen Souveränität verbergen sich unterschiedliche Ziele und damit auch Politikmaßnahmen in verschiedenen Ländern. In einer Welt sich rasant verändernder geopolitischer Rahmenbedingungen sowie neuer technologischer Entwicklungen und Trends sei das möglicherweise überzeugendste Ziel technologischer Souveränität die Vermeidung von einseitigen Abhängigkeiten beim Zugang zu Schlüsseltechnologien, die zur Umsetzung gesellschaftlicher Prioritäten und Bedürfnisse notwendig sind.

Christoph M. Schmidt, RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung, Essen, und acatech, zieht eine kritische Bilanz der Politik zur Stärkung der technologischen Wettbewerbsfähigkeit auf EU-Ebene. Die zu diesem Zweck aufgelegten Programme zur Förderung von Forschung und Innovation einte vor allem eine von vornherein überambitionierte Zielsetzung. Es wäre sinnvoll, den in diesen Programmen zu erkennenden Technologieoptimismus ebenso kritisch zu hinterfragen wie den mit ihnen verbundenen Steuerungsoptimismus. Methodisch fundierte Evaluationsstudien könnten dabei helfen, können aber eine kritische Selbstreflexion nicht ersetzen.

Die Mitglieder der Expertenkommission Forschung und Innovation – Irene Bertschek, Guido Bünstorf, Uwe Cantner, Carolin Häussler, Till Requate und Friederike Welter –stellen die zentralen Aussagen ihres aktuellen Jahresgutachtens vor. Die gewaltigen Herausforderungen könne Deutschland nur dann meistern und den Wohlstand sichern, wenn es als Forschungs- und Innovationsstandort eine hohe Leistungsfähigkeit und damit Attraktivität aufweise. Hierzu brauche es kluge Köpfe und ihre Ideen, leistungsfähige Innovationsökosystem, insbesondere im Bereich der Schlüsseltechnologien, sowie innovationsfördernde Infrastrukturen und Rahmenbedingungen.

Caroline Paunov, Nikolas Schmidt, OECD, und Sylvia Schwaag Serger, Lund University, identifizieren drei wesentliche Aspekte der Innovationspolitik, an denen gezielt gearbeitet werden müsse, um Deutschland auf die großen Transformationen vorzubereiten. Steuerung und Governance des Wissenschafts-, Technologie- und Innovationssystems, der Förderung einer agilen, risikotoleranten und experimentierfreudigen Wissenschafts-, Technologie- und Innovationspolitik sowie der Stärkung der Fundamente des Wissenschafts-, Technologie- und Innovationssystems. Im Fokus dieser Fundamente stünden die notwendigen Kompetenzen von morgen und nicht die von gestern. Ein zentrales Element sei die Digitalisierung, deren Möglichkeiten derzeit weder der öffentliche noch der private Sektor voll auszuschöpfen vermöge.

In Zeiten knapper Kassen seien Priorisierung und Fokussierung unumgänglich. Es gelte, Veränderungen anzustoßen und Neues zu denken, anstatt auf Bestehendem zu beharren, erklären Tanja Brühl, TU Darmstadt und Forum Zukunftsstrategie, und Anne Schäfer, TU Darmstadt. Diese Veränderungen beförderten kontroverse Diskussionen, sie generierten Reibung zwischen den an ihnen beteiligten Akteur*innen und Akteursgruppen. Scheitern müsse zulässig sein und die entstehende Reibung könne produktiv genutzt werden. Sie sei kein Störfaktor, sondern essenzieller und konstitutiver Teil eines Veränderungsprozesses. Die Gefahr, mit Blick auf Innovationsfähigkeit und -stärke in Deutschland weiter zurückzufallen, sei zu groß, als dass auf perfekte Lösungen gewartet werden könne.

David B. Audretsch, Indiana University, nimmt die Außenperspektive aus den USA ein: Sie ist positiver als die Innensicht. In Europa sei der Unternehmergeist schwächer ausgeprägt als in den USA, es gebe weniger Risikokapital und man sei auf inkrementelle Innovationen fokussiert. Allerdings konzentriere sich die wirtschaftliche Innovationsaktivität in den USA auf wenige Regionen. Deutschland habe im Gegensatz dazu einen starken innovativen Mittelstand – die Hidden Champions.

Edmund Phelps, Wirtschaftsnobelpreisträger aus dem Jahr 2006, gibt zu bedenken, dass die Änderung einzelner Institutionen möglicherweise nicht die gewünschten positiven Auswirkungen auf die Innovationen in Europa und Deutschland hat. Vielmehr brauche es eines ergänzenden Kulturwandels.

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