Stellungnahme -

ifo Standpunkt Nr. 202: Die neue deutsche Industriepolitik

Mit der Vorlage seiner nationalen Industriestrategie 2030 hat Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier eine wichtige Debatte angestoßen. Wie kann Deutschlands Zukunft als Industriestandort gesichert werden? Viele sehen den technischer Wandel, die US-Dominanz in der Digitalisierung und den Aufstieg Chinas als Bedrohung für traditionelle Industrieländer wie Deutschland an. Ist eine neue staatliche Industriepolitik die richtige Reaktion? Industriepolitik hat drei grundlegende Probleme. Erstens weiß die Politik nicht mehr als private Investoren darüber, welche Technologien zukunftsfähig sind. Zweitens sind sie eher schlechter darin, erfolglose Projekte rechtzeitig zu beenden. Drittens besteht die Gefahr, dass politisch einflussreiche und etablierte Unternehmen Industriepolitik missbrauchen, um Privilegien für sich durchzusetzen, auf Kosten der Wettbewerber, Steuerzahler und Konsumenten.

Bild Clemens Fuest für Standpunkte

Folgt daraus, dass man von Industriepolitik die Finger lassen und die industrielle Entwicklung ganz dem Markt überlassen sollte? Nein. Industriepolitik ist wichtig, aber sie sollte ökonomische Zusammenhänge und bisherige Erfahrungen mit industriepolitischen Instrumenten berücksichtigen. Vor allem sollte sie an der Frage ansetzen, wo Marktversagen vorliegt, private Märkte also nicht zu effizienten Ergebnissen führen. Zu Marktversagen bei der industriellen Entwicklung kann es vor allem in wissensintensiven Branchen kommen. Forschung und Entwicklung eines Unternehmens stiften oft der Branche insgesamt Nutzen. Die Kosten werden aber nicht geteilt. Das kann staatliche Förderung von Forschung und Entwicklung rechtfertigen. Das gilt nicht nur für Grundlagenforschung sondern auch für die Übertragung von Forschungsergebnissen in industrielle Fertigung. Ähnliches gilt für Pfadabhängigkeit von Innovationen. Eine Branche, die jahrzehntelang ihre Innovationen auf Verbrennungsmotoren konzentriert hat, kann externe Anstöße brauchen, um die richtige Innovationstätigkeit bei alternativen Antrieben zu entfalten. Empirische Studien zeigen allerdings, dass staatliche Förderung vor allem dort positive Wirkungen entfaltet, wo unter den Unternehmen ein intensiver Wettbewerb herrscht. Einzelne Unternehmen zu nationalen Champions zu erklären und sie vor Wettbewerb oder Übernahmen zu schützen, ist dagegen kontraproduktiv. Studien zeigen außerdem, dass eher dezentral organisierte industriepolitische Förderung erfolgreicher ist als zentralisierte. Breite der geförderten Projekte und Raum für Experimente und Vielfalt und der damit einhergehende Wettbewerb sind wichtig für Erfolg. Wichtig ist ferner private Kofinanzierung. Wenn auch privates Geld im Feuer steht steigt die Effizienz und es wird eher dafür gesorgt, dass Projekte, bei denen der Erfolg ausbleibt, auch beendet werden. Für die Wettbewerbspolitik und die Subventionskontrolle in Europa folgt daraus, dass sektorale Beihilfen in wissensintensiven Sektoren, die prinzipiell allen Unternehmen zugänglich sind, weniger kritisch zu beurteilen sind als Beihilfen für einzelne Unternehmen. Nicht vergessen sollte die Politik außerdem die sonstigen Rahmenbedingungen für den Produktionsstandort Deutschland: Eine leistungsfähige Kommunikations- und Verkehrsinfrastruktur, verlässliche und preisgünstige Energieversorgung, schnelle Genehmigungsverfahren und attraktive steuerliche Rahmenbedingungen gehören auch zur Sicherung des Industriestandorts.

Peter Altmaier wird seine Industriestrategie grundlegend überarbeiten müssen, wenn sie erfolgreich sein soll. Das vorliegende Konzept stützt sich zu wenig auf die oben beschriebenen Erfahrungen. Es ruft ohne Grundlage einzelne Unternehmen zu nationalen Champions aus. Es verwechselt Größe mit Wettbewerbsfähigkeit. Der bisherige industrielle Erfolg Deutschlands ist vor allem den Hidden Champions zu verdanken, die durch Innovationsfähigkeit und Spezialisierung punkten, nicht durch Größe. Es ist nicht erkennbar, warum sich das ändern sollte. Eine staatliche Beteiligungsgesellschaft wird ebenso wenig gebraucht wie das Bewahren geschlossener Wertschöpfungsketten.

Wie sollte man auf die chinesische Industriepolitik reagieren, die heimischen Unternehmen durch staatliche Hilfen und die Behinderung ausländischer Wettbewerber im chinesischen Markt Vorteile verschafft? Die Imitation der chinesischen Industriepolitik ist für Deutschland schon deshalb eine schlechte Idee, weil der wirtschaftliche Entwicklungsstand anders ist. China holt in der Industriefertigung immer noch auf, Deutschland ist eine führende Industrienation, die sich an der Technologiegrenze bewegt. Den Zugang deutscher Unternehmen zum chinesischen Markt kann man auf dem Verhandlungsweg sichern, wenn man damit drohen kann, chinesischen Unternehmen im europäischen Markt ebenfalls Hindernisse in den Weg zu legen. Hier gerät eine nationale Industriestrategie allerdings an Grenzen – europäisches Handeln ist gefragt.

Clemens Fuest
Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft
Präsident des ifo Instituts

Erschienen unter dem Titel „Wirtschaftsminister auf dem Holzweg“ in Cicero.de, 19. Februar 2019, online

ifo Standpunkt
ifo Institut, München, 2019
ifo Standpunkt Nr. 202