Stellungnahme -

ifo Standpunkt Nr. 205: Die G-20-Beschlüsse: Durchbruch zu einer besseren internationalen Besteuerung?

04.07.2019

Die Finanzminister der G-20-Länder haben eine ehrgeizige Reformagenda für die internationale Besteuerung vereinbart. Auslöser ist wachsender Unmut über die Besteuerung der Digitalwirtschaft. Viele Digitalfirmen erzielen hohe Umsätze in Europa, zahlen dort aber kaum Gewinnsteuern. Die geltenden Besteuerungsregeln sehen auch vor, dass Unternehmen nicht dort Gewinnsteuern zahlen, wo sie ihre Produkte absetzen, sondern dort, wo sie entwickelt oder hergestellt werden. Die US-Digitalfirmen zahlen allerdings auch in den USA wenig Steuern.

Bild Clemens Fuest für Standpunkte

In Europa haben die niedrig besteuerten Gewinne der US-Internetgiganten Begehrlichkeiten ausgelöst. Die Europäische Kommission hat deshalb vorgeschlagen, Internetunternehmen künftig stärker dort zu besteuern, wo sie ihre Umsätze machen, also in den sogenannten ‚Marktländern‘. Diese Idee haben die G-20-Finanzminister aufgegriffen. Die Besteuerungsrechte für die ‚Marktländer‘ sollen allerdings nicht nur bei Internetfirmen erweitert werden, sondern bei allen Unternehmen.

Deutschland als Verlierer einer „Marktland“-Besteuerung

Was wären die Folgen? Der Druck des Steuerwettbewerbs, Steuern zu senken, würde abnehmen. Absatzmärkte kann man nicht so leicht verlagern wie Patente oder Produktionsstätten. Länder mit Exportüberschüssen wie Deutschland würden aber Steuereinnahmen verlieren. Heute bezahlt beispielsweise Volkswagen seine Gewinnsteuern hauptsächlich in Deutschland, obwohl das Unternehmen seine Autos größtenteils im Ausland verkauft, vor allem in China. Künftig würde ein größerer Teil der Gewinne in China versteuert. 

Die Implikationen einer Mindeststeuer

Deshalb hat Deutschland einen zweiten Vorschlag auf die G-20-Agenda gebracht: Eine globale Mindestbesteuerung, die mit zwei Instrumenten arbeitet. Erstens sollen Firmen, die in Hochsteuerländern ansässig sind, auf Gewinne von ausländischen Tochtergesellschaften zu Hause zusätzliche Steuern zahlen, sofern die ausländische Besteuerung niedriger ist als der Mindestsatz. Zweitens sollen Zahlungen heimischer Unternehmen ins Ausland ebenfalls mit der Mindeststeuer belegt werden. Wenn ein deutsches Unternehmen beispielsweise für Werbung eine Zahlung an Google leistet und nicht nachweisen kann, dass Google diese Zahlung zum Mindeststeuersatz versteuert, muss das deutsche Unternehmen die Steuer an den deutschen Fiskus abführen. Fiskalisch würde Deutschland davon profitieren.

Hindernisse bei der Umsetzung

Die Politik feiert die G-20-Beschlüsse bereits als Durchbruch zu einem gerechteren Steuersystem. Sie sollen bereits 2020 umgesetzt werden. Das ist reichlich optimistisch. Die G-20-Beschlüsse sind noch sehr vage, und ihre Umsetzung ist kompliziert. Mindeststeuern auf bestimmte Auslandsgewinne gibt es bereits in vielen Ländern, auch in Deutschland. Die Ausweitung auf jegliche Zahlung an ausländische Empfänger wäre jedoch neu und würde den administrativen Aufwand deutlich steigern. Bei jeder Zahlung ins Ausland müsste geprüft werden, ob sie beim Empfänger hoch genug besteuert wird. Was passiert zum Beispiel, wenn die Zahlung in ein Land geht, das die Steuern durch Subventionen ausgleicht? Letztlich müssten alle ausländischen Steuersysteme laufend daraufhin kontrolliert werden, ob sie die Mindestbesteuerung einhalten. Ein neues internationales Zertifizierungssystem müsste das leisten. Von jeder nationalen Steuerbehörde zu verlangen, das zu überwachen, ist illusorisch. 

Noch aufwändiger ist die Verlagerung der Besteuerungsrechte in Marktstaaten. Sie würde völlig neue Spielregeln erfordern. Ein Vorschlag lautet, die weltweiten Konzerngewinne aufzuspalten: in einen wie bisher besteuerten ‚Routinegewinn‘ und den Rest, der teilweise in den Marktstaaten versteuert wird. Für die Ermittlung des weltweiten Gewinns müsste man sich auf eine gemeinsame steuerliche Bemessungsgrundlage einigen, die bislang noch nicht einmal in Europa konsensfähig ist. Auch die Gewinnaufspaltung ist hochkomplex. Wachsende Komplexität eröffnet neue Steuervermeidungsmöglichkeiten. 

Lohnender Vorstoß – mit ungewissem Ergebnis

Diese Hindernisse innerhalb eines Jahres zu überwinden, dürfte illusorisch sein. Trotzdem ist es richtig, dass die G-20-Staaten versuchen, koordiniert gegen Steuervermeidung vorzugehen. Bislang geschieht das meistens nur unilateral. Auf diese Weise entsteht oft Steuerchaos, Doppelbesteuerung und eine Diskriminierung von grenzüberschreitenden Investitionen. International koordiniert sowohl gegen Nichtbesteuerung als auch gegen Doppelbesteuerung vorzugehen, wäre ein Fortschritt. Ob es wirklich dazu kommt, wird sich mit der konkreten Umsetzung zeigen. Denn erst dann wird klar, ob die G-20-Staaten, die als Verlierer da stehen, mitmachen. Falls das Reformpaket scheitert, könnte sich die Bundesregierung immerhin zu Gute halten, fiskalische Verluste durch eine drohende Verlagerung der Besteuerungsrechte in Marktstaaten ohne eine Mindestbesteuerung verhindert zu haben.

Clemens Fuest
Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft
Präsident des ifo Instituts

Erschienen unter dem Titel „Steuerteufel steckt im Detail“, im Handelsblatt, 26. Juni 2019, S. 48.

ifo Standpunkt
ifo Institut, München, 2019
ifo Standpunkt Nr. 205