Stellungnahme -

ifo Standpunkt 239: Der Staat sollte sich aus der Lohnpolitik heraushalten — Sinnvoller beim Kampf gegen die Inflation sind Reformen auf der Angebotsseite

Wie lässt sich die Inflation in Deutschland eindämmen? Bei dieser Diskussion spielen die Löhne aktuell eine große Rolle. Gewerkschaften verweisen darauf, dass die derzeitige Inflationsrate von mehr als 8% die Realeinkommen der Beschäftigten reduziert. Entsprechend fordert die IG Metall in der anstehenden Tarifrunde ein Lohnplus von 8%. Kritiker warnen, dass Tarifabschlüsse in dieser Höhe zu einer Lohn-Preis-Spirale führen, die Inflation also weiter anheizen könnten. 

Bild Clemens Fuest für Standpunkte

In dieser Gemengelage mehren sich nun Forderungen nach einer „Konzertierten Aktion“ wie zuletzt in den Sechziger- und Siebzigerjahren. Gemeint sind bundesweite Verhandlungen zwischen den Tarifparteien und der Politik, um gesamtwirtschaftlich schädliche Lohnzuwächse zu verhindern. Ein erstes Treffen hat auf Einladung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bereits stattgefunden. Das hört sich gut an, hat in der aktuellen Lage aber kaum Aussicht auf Erfolg.

Grundsätzlich geht es bei Tarifverhandlungen um die Frage, wie das von den Unternehmen Erwirtschaftete zwischen Arbeitnehmern und Unternehmenseignern aufgeteilt wird. Gewerkschaften wollen hohe Löhne, müssen allerdings auch daran interessiert sein, die Arbeitsplätze ihrer Mitglieder nicht zu gefährden. Deshalb sollten sie den Bogen ihrer Forderungen nicht überspannen. 

Tarifabschlüsse haben weitreichende Folgen

Arbeitgeber wiederum wollen Lohnkosten senken, um ihre Gewinne zu steigern – aber sie wissen, dass bei zu niedrigen Löhnen die Fluktuation unter den Beschäftigten steigt und vor allem produktive Arbeitskräfte kündigen oder erst gar nicht kommen. Deshalb sollten Arbeitgeber bei der Lohnentwicklung im eigenen Interesse darauf achten, dass sich die Beschäftigten fair behandelt fühlen. Vor diesem Hintergrund spricht viel für die Tarifautonomie und gegen staatliche Versuche, Tarifverhandlungen zu beeinflussen. 

Dabei tragen die Tarifpartner allerdings eine hohe Verantwortung: Tarifabschlüsse haben nicht nur Folgen für diejenigen, die am Verhandlungstisch sitzen, sondern auch für den Rest der Volkswirtschaft. In Zeiten schwacher gesamtwirtschaftlicher Nachfrage und niedriger Inflation können niedrige Lohnabschlüsse die Kaufkraft schwächen und Konjunkturkrisen verstärken. Auf der anderen Seite können zu stark steigende Lohnkosten die Arbeitslosigkeit erhöhen – und die daraus resultierenden Finanzierungslasten müssen dann die Gemeinschaft der Steuer- und Beitragszahler tragen. Bei hoher Inflation können steigende Löhne zudem die Geldpolitik zwingen, hart einzugreifen – was möglicherweise eine Stabilisierungsrezession auslöst. 

Wer trägt die Lasten der aktuellen Inflation?

Wie entwickeln sich die Löhne derzeit in Deutschland? Nach aktuellen Umfragen des ifo Instituts erwarten Personalleiter für 2022 durchschnittliche Lohnerhöhungen von 4,7%. In diesem Fall müssten die Arbeitnehmer einen deutlichen Rückgang ihrer Realeinkommen hinnehmen. Das senkt die gesamtwirtschaftliche Nachfrage – zumindest mit Blick auf die hohe Inflation ist dies allerdings eher von Vorteil. 

Man könnte auch einwenden, es sei unfair, wenn durch sinkende Reallöhne die Last, die Inflation einzudämmen, allein den Arbeitnehmern zufalle. Das trifft aber nur zu, wenn die Inflation dadurch entsteht, dass Unternehmen ihre Preise erhöhen und größere Gewinne erwirtschaften. Wird die Inflation primär durch verteuerte Energie, Rohstoffe und andere importierte Güter verursacht, ist die heimische Volkswirtschaft ärmer als vorher. Sinkende Reallöhne gehen dann mit sinkenden realen Gewinnen einher. Ist es angesichts dieser Zusammenhänge sinnvoll, nach einer Konzertierten Aktion zu rufen? Mehrere Gründe sprechen dagegen. 

Konzertierte Aktion führt nicht zum Ziel

Erstens müssten dabei auch die Arbeitgeber einen Beitrag leisten. Doch Zurückhaltung bei den Verkaufspreisen zu vereinbaren, ist kaum umsetzbar und passt nicht zu einer Wettbewerbswirtschaft. Zweitens ist unklar, was der Staat konkret beitragen könnte. Die Idee etwa, Einmalzahlungen der Arbeitgeber steuerfrei zu stellen, ist wenig zielführend. Diese Steuerentlastung würde die Inflation zunächst weiter anheizen. Und ob Einmalzahlungen wirklich zu moderateren Abschlüssen führen, ist unklar. 

Derzeit kann der Staat mehr erreichen, wenn er sich darauf konzentriert, die Angebotsbedingungen in der Volkswirtschaft zu verbessern. Ansatzpunkte sind Reformen des Steuer- und Transfersystems, die Anreize vor allem für Menschen mit niedrigen Einkommen verbessern, mehr zu arbeiten. Wenn mehr gearbeitet wird, steigt das Güterangebot und die Preise sinken. In der Energiepolitik könnten längere Laufzeiten für Kernkraftwerke, ein beschleunigter Ausbau der erneuerbaren Energien und die Zulassung von Fracking zur heimischen Erdgasförderung beitragen, die Energiepreise zu senken. 

Fazit: Die Konzertierte Aktion war schon in der Hochinflationsphase der Siebzigerjahre wenig erfolgreich. Heute würde es nicht besser laufen.

Clemens Fuest
Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft
Präsident des ifo Instituts

Erschienen unter dem Titel “Warum uns eine konzertierte Aktion nicht weiterhilft“, WirtschaftsWoche, 29. Juli 2022

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