Gastbeitrag

Mit Bildung gegen Stagnation

Eric A. Hanushek, Ludger Wößmann


Quelle:
dasinvestment.com

Kaum jemand bezweifelt, dass Bildung wertvoll für den Einzelnen ist und dass jedes Land von einer gut ausgebildeten Bevölkerung profitiert. Doch vielen ist nicht vollends bewusst, wie stark sich qualitativ hochwertige Bildung auf das wirtschaftliche Wohlergehen auswirkt. Der vorliegende Bericht liefert eine Analyse der wirtschaftlichen Erträge verbesserter Bildungsleistungen für alle EU-Staaten.

Die Analyse konzentriert sich auf den Zusammenhang zwischen Bildungsleistungen (wie in der internationalen Schulleistungsstudie Programme for International Student Assessment (PISA) gemessen) und dem langfristigen Wachstum von Nationen. Frühere Untersuchungen haben gezeigt, dass Testergebnisse ein guter Indikator für die Kompetenzen der Erwerbstätigen eines Landes sind und dass sich drei Viertel der Unterschiede in den langfristigen Wachstumsraten zwischen den Ländern auf diese quantitativen Messgrößen der Bildungsergebnisse zurückführen lassen.

Nutzt man den historischen Zusammenhang zwischen Wachstum und Bildungsniveau, lassen sich die aggregierten wirtschaftlichen Auswirkungen von verbesserten Leistungsniveaus prognostizieren. Wir betrachten eine Reihe möglicher Veränderungen, die implizit mehr oder weniger ehrgeizige Reform-programme widerspiegeln. Es ist offensichtlich, dass breit angelegte Reformen größere wirtschaftliche Auswirkungen haben als Reformen, die einen relativ kleinen Anteil der Schüler betreffen.

Die Prognosen berücksichtigen die Dynamik von Bildungsreformen – es braucht Zeit, um Bildungspolitik und -programme anzupassen und die Ergebnisse der Schüler brauchen zusätzliche Zeit, um sichtbar zu werden. Die Wirtschaft wiederum wird sich erst anpassen, wenn die neuen, hochqualifizierten Arbeitskräfte einen spürbaren Anteil der Erwerbstätigen ausmachen. Diese Dynamiken implizieren, dass die wirtschaftlichen Verbesserungen einige Zeit in Anspruch nehmen, um realisiert zu werden.
Um den Zeitablauf der Wachstumseffekte zu berücksichtigen, werden alle Schätzungen auf Grundlage des Barwerts berechnet, der den heutigen monetären Gegenwert künftiger wirtschaftlicher Erträge für den Rest des Jahrhunderts angibt. Dabei werden unter Verwendung eines Abzinsungssatzes von drei Prozent kurzfristige Erträge stärker gewichtet als spätere Erträge.

Tabelle ES1 fasst die Ergebnisse der Prognosen von vier Szenarien der Verbesserung des Bildungsniveaus zusammen. Das erste Szenario betrachtet eine Erhöhung des Bildungsniveaus von Schülern um 25 Punkte auf der PISA-Skala (ein Viertel einer Standardabweichung). Portugal, Polen und Deutschland haben bereits bewiesen, dass solche Verbesserungen erzielbar sind, auch wenn sie eine Herausforderung bedeuten. Sollten alle EU-Länder dieses Ziel innerhalb von 15 Jahren erreichen, wäre die Gesamtwirkung auf die EU langfristig ein schnelleres Wirtschaftswachstum (von jährlich 0,5 Prozent), welches das BIP gegenüber dem Status quo um 71 Billionen Euro erhöhen würde. Dies entspricht einem aggregierten EU-Ertrag des fast 3½-fachen des aktuellen BIP und einem um sieben Prozent höheren durchschnittlichen BIP über den Rest des Jahrhunderts. (Der Bericht präsentiert die Resultate der einzelnen Länder für diese aggregierten Ergebnisse.)

Tabelle ES1: Die wirtschaftlichen Erträge einer Verbesserung der Bildungsleistungen in der Europäischen Union

Politische Szenarien

Barwert der Reform
(Mrd. Euro)

In % des
aktuellen BIP

In % des abgezinsten zukünftigen BIP

1. Durchschnittliche Leistung steigern (25 Punkte)

71.027

340 %

7,3 %

2. Universelle Grundkompetenzen erreichen

37.898

188 %

3,9 %

Höchstens 15 Prozent Lernschwache

5223

25 %

0,5 %

3. Kompetenzen von Schulabbrechern erhöhen

7097

34 %

0,7 %

Höchstens 10 Prozent Schulabbrecher

1144

6 %

0,1 %

4. Spitzenleistung steigern

4615

22 %

0,5 %

Anmerkungen: Aktueller Wert zukünftiger BIP-Zunahmen der 28 EU-Länder bis 2100 aufgrund entsprechender Reformen, ausgedrückt in Milliarden Euro (KKP ), als Prozentsatz des derzeitigen BIP und als Prozentsatz des diskontierten zukünftigen BIP. Siehe Text für Reformparameter.

Die anderen Szenarien spiegeln unterschiedliche Politikansätze wider. Das zweite Szenario lässt alle leistungsschwachen Schüler die grundlegenden Qualifikationsanforderungen erreichen, um in der heutigen Wirtschaft mithalten zu können (gemessen als Stufe 2 bei den PISA-Tests). Das Erreichen dieses Ziels würde das durchschnittliche BIP im Laufe des 21. Jahrhunderts um fast vier Prozent steigern, wobei Länder mit mehr kompetenzschwachen Schülern proportional größere Verbesserungen in ihrer zukünftigen wirtschaftlichen Entwicklung erzielen. Eine Politik, die nicht alle Schüler auf ein Grundkompetenzniveau bringt, sondern lediglich die Leistungsschwäche in jedem Land auf 15 Prozent reduziert (gemäß dem Ziel des strategischen Rahmens für die europäische Zusammenarbeit auf dem Gebiet der allgemeinen und beruflichen Bildung – ET 2020), hätte nur etwa ein Siebtel dieses Effekts.

Das dritte Szenario entspricht dem Ziel des ET 2020, die Schulabbrecherquote in jedem EU-Staat auf nicht mehr als 10 Prozent zu senken. Eine Verbesserung der Kompetenzen aller potentiellen Schulabbrecher würde das durchschnittliche BIP um 0,7 Prozent erhöhen, während eine bloße Erreichung des 10-Prozent-Richtwerts bedeutend geringere Auswirkungen hätte (0,1 Prozent), da nur 11 Mitgliedstaaten aktuell mehr als 10 Prozent Schulabbrecher haben.

Das vierte Szenario betrachtet eine Verbesserung am oberen Ende der Leistungsverteilung. Es modelliert, dass mindestens 15 Prozent der Schüler in jedem Land Stufe 5 beim PISA-Test erreichen. Während dies für die leistungsstarken Länder nur eine begrenzte Anpassung erfordert, stellt es in EU-Staaten, die mit einem Leistungsdefizit starten, eine beträchtliche Erhöhung dar. Insgesamt wäre das durchschnittliche BIP für den Rest des Jahrhunderts um 0,5 Prozent höher.

Diese Analyse betont die Gesamtauswirkungen von Bildungsreformen auf die einzelnen Mitgliedstaaten. Gleichzeitig verbessert sich das wirtschaftliche Wohlergehen Einzelner, die mehr Kompetenzen im Bildungssystem erwerben, obwohl dies nicht der Schwerpunkt dieser Analyse ist. Wenn sich das Wirtschaftswachstum beschleunigt, dürften sich diese individuellen Erträge zudem noch erhöhen.

Die einfache Tatsache ist, dass Kompetenzen in der Bevölkerung jetzt extrem wichtig sind und in Zukunft wohl noch an Bedeutung gewinnen werden. Werden nun keine Investitionen getätigt, werden die heutigen Jugendlichen von diesen Vorteilen ausgeschlossen, und der zukünftige wirtschaftliche Nutzen wird verschoben und gemindert.

 

Kontakt
Prof. Dr. Ludger Wößmann

Prof. Dr. Ludger Wößmann

Leiter des ifo Zentrums für Bildungsökonomik
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