Gastbeitrag

Welthandel: Der Protektionismus hat Aufwind

Durch die vielfältigen Krisen der letzten Jahre hat sich das Misstrauen gegenüber der Globalisierung verstärkt. Lisandra Flach erklärt, welche Auswirkungen der Ausbau von Handelshemmnissen für die Weltwirtschaft und für ein Land wie Deutschland hat, das auf Freihandel angewiesen ist, und welche Maßnahmen die europäische Wirtschafts- und Handelspolitik jetzt ergreifen sollte, um diese Herausforderungen zu bewältigen.


Quelle:
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Der Welthandel befindet sich in Turbulenzen: Wachsende geoökonomische Herausforderungen, der Anstieg protektionistischer Maßnahmen und Störungen von Lieferketten haben in den vergangenen Jahren die Skepsis gegenüber der Globalisierung verstärkt. Der handelspolitische Kurs der Europäischen Union steht stärker denn je auf dem Prüfstand. Welche Folgen haben Protektionismus und Abschottung für die Weltwirtschaft und für eine offene und auf den freien Handel angewiesene Volkswirtschaft wie Deutschland?

Spätestens seit der Finanzkrise hat sich das Globalisierungstempo verlangsamt. Die Zahl protektionistischer Interventionen ist deutlich gestiegen: Die Welt ist seit der Finanzkrise protektionistischer geworden. Und mit der Pandemie, dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und den wachsenden geoökonomischen Spannungen hat der weltweite Protektionismus zusätzlichen Aufwind bekommen: Allein zwischen dem Beginn der Pandemie und dem Jahr 2022 ist die Zahl der weltweit neu eingeführten protektionistischen Maßnahmen um mehr als 35 Prozent gestiegen.

Während man Protektionismus in erster Linie mit Zöllen verbindet, machten im Jahr 2022 Subventionen und Exporthilfen laut der Initiative Global Trade Alert mehr als die Hälfte der weltweit neu verhängten protektionistischen Maßnahmen aus. Subventionen können zwar in Krisen eine beschäftigungsstabilisierende Wirkung erzeugen, führen häufig jedoch zu Wettbewerbsverzerrungen im internationalen Handel. Zudem können hohe Kosten für den Staatshaushalt entstehen, wenn Unternehmen im Rahmen eines ökonomisch schädlichen Subventionswettbewerbs Staaten gegeneinander ausspielen können. Aus diesem Grund wäre es grundsätzlich wünschenswert, die multilaterale Zusammenarbeit im Rahmen der Welthandelsorganisation über Zölle hinaus in anderen handelspolitischen Bereichen zu vertiefen, auch wenn dies derzeit wenig realistisch zu sein scheint.

Abhängigkeiten von Autokratien verringern

Deutschland ist stärker in globale Wertschöpfungsketten eingebunden als viele andere große Volkswirtschaften. Rund 60 Prozent der Wertschöpfung der deutschen Industrie hängt von der Nachfrage im Ausland ab. Gleichzeitig spielt der Import von Vorleistungen eine entscheidende Rolle für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft. Daher steht für Deutschland viel auf dem Spiel, wenn es um eine mögliche Rückabwicklung der Globalisierung geht. Allein die Nationalisierung von Lieferketten müsste schon mit erheblichen wirtschaftlichen Einbußen erkauft werden. So schätzen wir im Rahmen einer Studie des ifo Instituts, dass eine umfassende Rückverlagerung der Produktion nach Deutschland zu einem langfristigen Rückgang des deutschen Bruttoinlandsprodukts von rund 10 Prozent führen würde. Ebenso ist fraglich, inwiefern ein solcher Rückzug aus internationalen Produktionsnetzwerken tatsächlich zu einer weniger störanfälligen Produktion beitragen würde. Zwar wären Lieferkettenrisiken aus dem Ausland deutlich reduziert; dies würde aber mit einer erheblichen Konzentrierung von Lieferkettenrisiken im Inland einhergehen.

Auch die Forderungen nach einer Europäisierung von Lieferketten oder einer wirtschaftlichen Abkopplung von Autokratien („Decoupling“), die an vielen Stellen zu vernehmen sind, verkennen häufig die hohen wirtschaftlichen Kosten einer solchen Strategie. Unsere Analysen zeigen, dass ein Handelskrieg mit China, Russland und anderen autoritären Regimen ebenfalls zu deutlichen Wohlstandsverlusten für Deutschland und die EU führen würden. Zielführender wäre es, kritische Abhängigkeiten von Autokratien zu identifizieren und gezielt zu verringern („De-Risking“).

Umgang mit Lieferrisiken

Unternehmen und nationale Regierungen müssen sich zweifellos an die wachsenden geoökonomischen Herausforderungen anpassen. Laut einer Unternehmensbefragung des ifo Instituts hat aber schon die deutliche Mehrzahl der deutschen Industrieunternehmen seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie konkrete Maßnahmen ergriffen, um gegenüber Lieferrisiken resilienter aufgestellt zu sein. Neben einer besseren Überwachung von Lieferketten und dem Ausbau der Lagerhaltung zählt insbesondere die Diversifizierung von Zulieferern zu den am häufigsten ergriffenen Maßnahmen. Dies zeigt, dass deutsche Unternehmen höhere Lieferkettenrisiken schon in ihren strategischen Entscheidungen miteinpreisen. Umso wichtiger ist, dass die deutsche Außenwirtschaftspolitik ein stabiles Umfeld und klare Rahmenbedingungen schafft, um Unternehmen in ihren Diversifizierungsbemühungen zu unterstützen.

Um die Herausforderungen zu bewältigen, brauchen wir eine aktive und geographisch breiter aufgestellte deutsche und europäische Wirtschafts- und Handelspolitik. Der EU-Binnenmarkt muss vertieft und die Handelsbeziehungen müssen diversifiziert werden. Dabei sind mehr Engagement und Pragmatismus dringend notwendig, wenn über Handelsabkommen und strategische Partnerschaften verhandelt wird mit dem Ziel, einseitige Abhängigkeiten zu verringern und die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft zu stärken. Das bietet die Chance, den Handel mit zusätzlichen Partnerländern durch einen verbesserten Marktzugang zu fördern, Unternehmen bei der Diversifizierung ihrer Lieferketten zu unterstützen und gleichzeitig die bilaterale Zusammenarbeit mit Partnerländern zu stärken.

Lisandra Flach ist Professorin für Volkswirtschaftslehre an der LMU München. Sie leitet zudem das ifo Zentrum für Außenwirtschaft.

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