Projekt

Wirtschafts-/Konjunkturanalyse mit Stromverbrauchsdaten

Auftraggeber: Bayerisches Staatsministerium für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie
Projektlaufzeit: September 2020 – September 2021
Bearbeitender Bereich:
Projektteam: Valeriya Azarova, Dr. Robert Lehmann, Sascha Möhrle, Prof. Dr. Andreas Peichl, Prof. Dr. Karen Pittel, Dr. Marie-Theres von Schickfus, Prof. Dr. Timo Wollmershäuser

Fragestellung und Ziele des Projekts

Für politische Entscheidungsträger sowie Unternehmer sind zeitnahe Analysen der (gesamt-)wirtschaftlichen Situation essentiell, um z. B. einer Rezession durch adäquate Entscheidungen wirtschafts- bzw. unternehmenspolitisch gegenzusteuern. Die jüngste Wirtschaftskrise im Zuge der Corona-Pandemie unterstreicht diese Notwendigkeit. Jedoch ist eine zeitnahe und tagesaktuelle Einschätzung der gesamtwirtschaftlichen Situation zurzeit nur eingeschränkt möglich, da die Daten der amtlichen Statistik einer erheblichen Publikationsverzögerung unterliegen oder auf der Ebene der Bundesländer nur in unzureichender zeitlicher Frequenz erhoben werden. Abhilfe schaffen derzeit qualitative Indikatoren wie bspw. der ifo Geschäftsklimaindex für Bayern, welcher in monatlicher Frequenz vorliegt und im Nachgang keiner Revisionen mehr unterliegt.

Mit Stromverbrauchsdaten liegt eine alternative und hochfrequente Datenquelle vor, deren Eignung für die konjunkturelle Analyse und Prognose in diesem Forschungsprojekt geprüft werden soll. Darüber hinaus soll untersucht werden, ob mittels dieser neuen Datenquelle sich ändernde Trends im Stromverbrauch und der Stromnachfrage identifiziert und vor diesem Hintergrund die Auswirkungen energiepolitischer Maßnahmen analysiert werden können.

Methodische Vorgehensweise

Das Forschungsvorhaben besteht aus drei miteinander verzahnten Arbeitspaketen (AP): AP 1: Energieverbrauch und Energieeffizienz, AP 2: Energie und Konjunktur und AP 3: Prognosetauglichkeit.

Der Fokus des ersten Arbeitspaketes liegt auf der Analyse des Einflusses von Industriestruktur und Energieeffizienzmaßnahmen auf den Stromverbrauch. Die Erkenntnisse zur Energieeffizienz fließen anschließend wiederum in die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Stromverbrauch und Konjunktur ein. Ebenso soll anhand der hochfrequenten Daten analysiert werden, ob Maßnahmen wie das Pilotprojekt „Demand Side Management Bayern“ kurzfristige Nachfrageverschiebungen bewirken können.

Im zweiten Arbeitspaket wird, basierend auf den Erkenntnissen, der Zusammenhang zwischen Schwankungen im Energieverbrauch und konjunkturellen Schwankungen der bayerischen Wirtschaft untersucht. Mithilfe von Verfahren zur Konjunkturzyklusdatierung sollen konjunkturelle Schwankungen in den Energieverbräuchen identifiziert und jenen, die sich aus amtlichen Konjunkturdaten ergeben, gegenübergestellt werden.

Das dritte Arbeitspaket dient dem Test der Prognosetauglichkeit der Stromverbrauchsdaten. Ein Augenmerk liegt auf der Frage, ob die Stromverbrauchsdaten in der Lage sind amtliche Konjunkturindikatoren, wie den bayerischen Produktionsindex, treffsicher zu prognostizieren.

Datenquellen

Bayerisches Landesamt für Statistik
Statistisches Bundesamt
Bayernwerk Netz GmbH
LEW Verteilnetz GmbH
N-ERGIE Netz GmbH
SWM Infrastruktur GmbH & Co. KG

Ergebnisse

Die bayerischen Stromverbrauchsdaten erweisen sich insgesamt als sehr nützliche Datenquelle. Zur Steigerung der Energieeffizienz lassen sich jedoch aus den aggregierten Daten auf Netzbetreiberebene keine eindeutigen Schlussfolgerungen ableiten. Es zeigten sich bei allen Netzbetreibern Brüche in der Zeitreihe, die möglicherweise auf die Bekanntgabe von energiepolitischen Maßnahmen (wie der Energieeffizienzrichtlinie) zurückzuführen sind. Es wurde ein konsistenter positiver Zusammenhang zwischen der Stromnachfrage und verschiedenen Spezifikationen des Strompreises festgestellt. Die Nachfragesteuerung und insbesondere die Glättung von Nachfragespitzen könnten vielversprechende Maßnahmen sein, wenn sie auf Industriekunden angewandt werden: beim Vergleich der Nachfragespitzen der bayerischen Netzbetreiber mit den in Gesamtdeutschland beobachteten Nachfragespitzen fallen insbesondere die Nachfragespitzen am Morgen als abweichend auf. Schließlich wurde ein positiver Einfluss des Industriestromverbrauchs auf die wichtigsten Luftschadstoffe festgestellt.

Die bayerischen Stromverbrauchsdaten zeigen zudem die konjunkturelle Entwicklung, gemessen in Form von Aufschwung- und Abschwungphasen sowie die dazugehörigen Hoch- und Tiefpunkte, zuverlässig an. Als Referenz dient der datierte Zyklus der bayerischen Industrieproduktion. Das Maß der Phasenüberlappung zwischen Stromverbrauchsdaten und bayerischer Industrieproduktion nimmt für den Zeitraum zwischen 2007 und 2020 einen sehr hohen Wert von 0,79 an, wobei ein Wert von Eins als Ausdruck für eine perfekte Übereinstimmung der Konjunkturzyklen steht. Im Vergleich zu allen anderen zur Verfügung stehenden Indikatoren ist die Phasenüberlappung bei den Stromverbrauchsdaten am höchsten.

Die hohe Zuverlässigkeit der Stromverbrauchsdaten bei der Zyklendatierung übersetzt sich auch in ein hohes Maß an Prognosetauglichkeit. In einem Prognoseexperiment auf Monatsbasis für die Jahre 2008 bis 2020 offenbart sich, dass die bayerischen Stromverbrauchsdaten im Durchschnitt der beste Indikator für die Prognose der bayerischen Industrieproduktion im laufenden Monat („Nowcast“) sind. Für die Prognose des folgenden Monats („Forecast“) verlieren alle Indikatoren an Prognosekraft und die Stromverbrauchsdaten reihen sich mit ihrer prognostischen Treffsicherheit hinter Kenngrößen mit besseren Vorlaufeigenschaften wie bspw. den ifo Geschäftserwartungen für das Verarbeitende Gewerbe Bayern ein. Die hohe Prognosekraft der bayerischen Stromverbrauchsdaten für den Nowcast offenbart sich auch für die einzelnen Jahre und lässt sich nicht auf spezielle Einzelevents zurückführen. Untermauert werden die Ergebnisse auf Monatsbasis durch ein Prognoseexperiment auf Wochenbasis, welches durch die hochfrequente Natur der Stromverbrauchsdaten möglich wird. Zwar erhöht sich die Prognosekraft des Stromverbrauchs insgesamt je mehr Informationen innerhalb eines Monats zur Verfügung stehen. Jedoch liefern bereits die Angaben am Ende der ersten Woche zuverlässige prognostische Signale für die bayerische Industrieproduktion.

Publikation

Monographie (Autorenschaft)
Valeriya Azarova, Robert Lehmann, Sascha Möhrle, Andreas Peichl, Karen Pittel, Marie-Theres von Schickfus, Timo Wollmershäuser
ifo Institut, München, 2022
ifo Forschungsberichte / 129
Kontakt
CV Foto, Robert Lehmann, ifo Institut

Dr. Robert Lehmann

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